7.3.2.1 Grundlagen der Many Minds Interpretation
Der deutsche Physiker Harald Atmanspacher und der Schweizer theoretische Chemiker Hans Primas stellten in ihrem Aufsatz „Epistemic and Ontic Quantum Realities“ (2003) fest: „Quantenmerkmale wie Nicht-Kommutativität, Nicht-Lokalität, Nicht-Separabilität und Verschränkung haben uns gezwungen, unsere klassischen Vorstellungen über die Natur der Materie zu revidieren. Für eine brauchbare realistische Interpretation der Quantentheorie, darf der Begriff ‚Realismus‘ nicht mit Ideen verknüpft sein, die aus der klassischen Physik übernommen wurden, wie Atomismus, Lokalisierbarkeit, Separabilität oder ähnliche Vorurteile…
Zum Beispiel wird sehr oft angenommen, dass die Messung einer Eigenschaft eines Systems zu einem der Eigenwerte der Eigenschaft führt [einem konkreten Messergebnis als Resultat der Messung einer physikalischen Größe, z. B. dem Spin eines Elektrons]. Die zugrundeliegende Vorstellung, dass jede Eigenschaft einen genau festgelegten zahlenmäßigen Wert hat, wurde ohne vernünftige Begründung von der klassischen Punkt Mechanik übernommen. Folglich sollte eine unkritische punktartige Wertbestimmung vermieden werden.
Die Problematik der Anwendung von Begriffen und Konzepten der klassischen Physik auf die Quantentheorie gilt auch für die verschiedenen Interpretationen der Quantenmechanik, besonders für Everetts Viele-Welten und die Many-Minds Theorien.“1
Folgt man den Ideen Everetts (vgl. 4.1), so gibt es weder eine substantielle Dichotomie zwischen ‚Beobachter‘ und beobachteten ‚Geqenstand‘ noch einen Übergang (Kollaps) von den superponierten Inhalten der Schrödingerwelle zur (quasi-)klassischen Wirklichkeit des Messprozesses Kopenhagensche Interpretation vielmehr „sind alle Elemente einer Superpossition (alle ‚Zweige‘ der Wrklichkeit) real und keiner ist irgendwie realer als der Rest.“ (vgl. 3.2).2
Wir haben in Kapitel 4.3 die Unterscheidung zwischen „internern“ und „externen Beobachtern“ beschrieben. Eine durchgängig quantenmechanische Betrachtung der Wirklichkeit kann von einem (klassischen) externen Beobachter (B) z. B. dem „Beobachter“ einer Messung, etwa des Spins eines Elektrons (SP), nicht ausgehen, da Quantenzustand (SP), Beobachter (B), Messgerät (M) und Umgebung (U) durch den Messprozess miteinander verschränkt werden SPP
Qua Messprozess wird also der von der Kopenhagener Interpretation angenommene externer Beobachter Teil eines übergeordneten verschränkten Quantensystems Qv. Die Dirac Notation lautet: |Qv > = |SPv> + |Bv > + |Mv > + |Uv > mit einem (quantenphysikalisch) verschränkten interner Beobachter Bv
„Spätestens bei der Behandlung kosmologischer Probleme“ kann die Perspektive des externen Beobachter (einer Beobachtung des Universums von außen) im physikalischen Sinne nicht mehr sinnvoll eingenommen werden.3
In der Nachfolge der „Relative State“ Theorie Everetts enstanden verschiedene Erklärungungsversionen bzw. Interpretationen der Everettschen Theorie, wie Bryce DeWitts „Viele-Welten Theorie“, David Deutschs Variante der Everett Interpretation oder die Many-Minds Interpretation David Lockwoods. 4
Zunächst bedeutet eine physikalistische Many-Minds Interpretation , dass „der Akt der Beobachtung“ in die quantenmechanische Beschreibung der Wirklichkeit einbezogen wird, d.h. „auch mentale Zustände [sind] Teil der physikalischen Welt und [unterliegen] den Gesetzen der Quantenphysik“.
Ein physikalistischer Standpunkt lässt sich jedoch aus den bereits erwähnten Gründen nicht aufrechterhalten (vgl. 7.2.2 und 7.2.6).5 Die Viele-Welten Interpretation bedeutet „immer eine Theorie sich verzweigender Bewusstseinszustände. Diese naheliegende Bedeutung ist jedoch nicht gemeint, wenn von Many-Minds Interpretation gesprochen wird.“6
Die Many-Minds Interpretation geht in ihrer ursprünglichen Fassung aus H. Dieter Zehs (1970) Version der Everett’schen Viele-Welten Theorie hervor, die sich besonders auf das Phänomen der Dekohärenz stützt (vgl. 4.4). Es wird von „kohärenter Überlagerung verschiedener Zustände gesprochen, wenn sie unter Beachtung ihrer quantenmechanischen Phasen addiert werden müssen wie Vektoren. Charakteristisch für die Kohärenz zweier Wellen, die am selben Ort eintreffen, ist, dass ihre Amplituden sich addieren. Im Fall der Inkohärenz addieren sich ihre Intensitäten, also die (Absolut-)Quadrate ihrer Amplituden.“7
- Harald Atmanspacher/H. Primas, Epistemic and Ontic Quantum Realities, Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Freiburg Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching, ETH-Zentrum, Zürich, p. 2, [Digitale Ausgabe], URL: https://www.academia.edu/23868910/Epistemic_and_Ontic_Quantum_Realities ↩︎
- Alwyn C. Scott, „Physical Applications of NonLinear Theory“, in: The Nonlinear Universe, The Frontiers Collection, Springer Verlag: Heidelberg/New York, 2007, p. 120, [Digitale Ausgabe], URL: https://books.google.de/books?id=c91SqmJteo8C&pg=PA120&lpg=PA120&dq=all+elements+of+a+superposition+are+real&source=bl&ots=sOCm0wzUk8&sig=ACfU3U1nvE7v4VzKjbGqW0QbeAWwh1oZHg&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwiy7biCv531AhWmRPEDHbMxBvMQ6AF6BAgdEAM#v=onepage&q=all%20elements%20of%20a%20superposition%20are%20real&f=false ↩︎
- Oliver Passon, „Nicht-Kollaps-Interpretationen der Quantentheorie“, in: Cord Friebe/Meinard Kuhlmann/Holger Lyre/Paul Näger/OLiver Passon/Manfred Stöckler, Philosophie der Quantenphysik, … Springer Spektrum, Spinger Verlag: Berlin/Heidelberg, 2015, S. 199 ↩︎
- Ib. ↩︎
- Ib. ↩︎
- Ib. S. 205 ↩︎
- Artikel „Kohärenz (Physik)“, in: Wikipedia, [Digitale Ausgabe], URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Koh%C3%A4renz_(Physik) ↩︎
