5.7.1 Inflationäre Standardtheorie und Quantentheorie
5.7.1.1 Standardtheorie der Inflation
Die Standardtheorie der Inflation beschreibt die „Emergenz kosmologischer Strukturen wie Galaxien und Galaxienhaufen aus einem merkmallosen Zustand, der eine Friedmann-Robertson-Walker (FRW) Kosmologie als Hintergrund aufweist und aus einer nahezu exponentiellen Expansion des Kosmos (Inflation) hervorgeht, die durch das Potential eines einzigen skalalare Quantenfeldes (Inflaton) in seinem einfachsten Vakuumzustand und aus seinen Quantenfluktuationen angetrieben wird.“1
Abb. 1 Zeitlicher und räumlicher Ablauf der Ausdehnung des Universums, nicht maßstabsgetreu. Man beachte die Inflationsphase am linken Rand des gelben Bereichs.
„Eine genauere Betrachtung dieses Modells offenbart jedoch ein konzeptionelles Problem: der Wechsel der anfänglichen Symmetrien des Universums.
Es veränderte seinen ursprünglich hochgradig homogenen und isotropen Zustand, der die Quantenstörungen sowohl des klassischen Hintergrund-Inflatons als auch der Raumzeit zu einem Universum mit „wirklichen“ Inhomogenitäten und Anisotropien werden lässt.
Mit anderen Worten, wenn man die Quantenmechanik als fundamentale Theorie betrachtet, dann ist es angemessen, sie auch als Beschreibung des gesamten Universums heranzuziehen, i.e. jede klassische Beschreibung des Universums sollte mit einem „unscharfen“ hochkomplexen Quantenzustand verbunden sein, wie wir es in Laura Mersini-Houghtons Theorie der Entstehung unseres Universums aus dem Multiversum finden (vgl. 5.6.8.2)“.2
„Zudem zeigt das beobachtet Universum auf bestimmten Größenskalen inhomogene und anisotropische Merkmale. Daraus folgt, dass seine Quantenbeschreibung diese nicht-symmetrischen Aspekte im Sinne eines Quantenzustandes enkodieren muss.
Andererseits beinhaltet die Dynamik des inflationären Standardmodells keine Aspekte, die für einen Bruch der Anfangssysmmetrien des frühen Quantenzustandes, der vollkommen homogen und isotrop war, verantwortlich sein könnten. Daher muss die inflationäre Standardtheorie als unvollständig betrachtet werden“.3
5.7.1.2 Sudarsky Hypothese

Abb. 2 Der kolumbianisch-mexikanische Physiker und Philosoph Dr. Daniel Sudarsky forscht im Bereich Schwarze Löcher und Quantengravitation
Daniel Sudarsky und seine Mitarbeiter der „Autonomen Nationalen Universität Mexiko (UNAM)“ versuchten dieses Problem zu lösen, indem sie die These „eines selbst-induzierten Wellenkollapses einführten, eines Mechanismus, der durch einen intrinsisch erzeugten Kollaps der Wellenfunktion des Inflaton Feldes Inhomogenitäten und Anisotropien auf jeder einzelen Längenskala entstehen ließ“.4
Die Problematik der Sudarsky These liegt allerdings darin, dass
(1) wir die Ursache(n) des postulierten (spontanen) Wellenkollapses nicht kennen. Es handelt sich hier um das bekannte Problem des Übergangs von der Quantenwelt der primordialen Quantenperturbationen zur klassischen Welt („quantum-to-classical transition“),5
(2) der von Sudarsky eingeführte „Kollaps“ durch die Schrödinger Gleichung nicht gedeckt ist, da die Quantenwelle (des Universums) sich deterministisch entwickelt und es daher (auch keinen „intrinsisch erzeugten“) Kollaps geben kann.
Vielmehr müsste es, nach der Viele-Welten Theorie Hugh Everetts bzw. Laura Mersini-Houghtons (vgl. 5.6.8.2), zu einer Spaltung (branching) des ursprünglichen, unscharfen bzw. kohärenten Quantenzustandes der Quantenwelle des Multiversums gekommen sein, aus dem sich alle in der multikosmologischen Ursprungswelle kodierten „Zweige“ (auch unser quasiklassisches Universum) entwickelt haben.
Der Hinweis auf „Dekohärenz„ durch Gravitation erscheint als Einwand nicht hinreichend, vielmehr bildet Dekohärenz die Voraussetzung einer Verzweigung des Universums in Teiluniversen (vgl. 4.0 und 5.6.8.2).
Leon Gabriel, Susana J. Landau und Maria Pia Piccirilli behandeln das „quantum-to-classical transition“ Problem unter Berücksichtigung der Kollapse – These Sudarskys im Zusammenhang mit einem Quasi – De – Sitter Hintergrund [vgl. 5.5.2.2], wodurch jedoch eine Verletztung der Schrödingergleichung auch nicht beseitigt wird.6
- Nelson Pinto-Neto and Grasiele Santos, The quantum-to-classical transition of primordial cosmological perturbations, Centro Brasileiro de Pesquisas Físicas‘ CBPF, pp. 1 seqq, [Digitale Ausgabe], URL: https://www.researchgate.net/publication/51943405_Quantum-to-classical_transition_of_primordial_cosmological_perturbationsin_de_Broglie–Bohm_quantum_theory; vgl. auch Artikek „Inflation (cosmology)“, in: Wikipedia, [Digitale Ausgabe], URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Inflation_(cosmology); vgl. auch Martin Bojowald, Absence of Singularity in Loop Quantum Cosmology, Center for Gravitational Physics and Geometry, The Pennsylvania State University, p. 1 seqq., [Digitale Ausgabe], URL: https://arxiv.org/pdf/gr-qc/0102069.pdf; vgl. auch Lisa Zyga, „Quantum-to-classical transition may be explained by fuzziness of measurement references“, in: Phys*Org, January 14, 2014, [Digitale Ausgabe], URL: https://phys.org/news/2014-01-quantum-to-classical-transition-fuzziness.html ↩︎
- Ib. ↩︎
- Alejandro Perez, Hanno Sahlmann, and Daniel Sudarsky, On the quantum origin of the seeds of cosmic structure, Institute for Gravitational Physics and Geometry,Penn State University, Centre de Physique Theorique, Université de Marseille, Instituto de Ciencias Nucleares Universidad Nacional Autónoma de Méexico Spinoza Institute, Universiteit Utrecht March 16, 2018, [Digitale Ausgabe], URL: https://arxiv.org/pdf/gr-qc/0508100.pdf ↩︎
- Ib. ↩︎
- Ib. ↩︎
- Gabriel Leon, Susana J. Landau und Maria Pia Piccirilli, Inflation including collapse of the wave function: The quasi-de Sitter case, Universidad de Buenos Aires, Ciudad Universitari, 9. September 2015, [Digitale Ausgabe], URL: https://arxiv.org/pdf/1502.00921.pdf ↩︎

