7.1 Die Unvollständigkeit der orthodoxen Physik
7.1.1 Die „Vollständigkeit“ einer wissenschaftlichen Theorie
Der an der FH Voralberg tätige österreichische Physiker und Mathematiker Thomas Breuer (* 1966) betrachtet die „Vollständigkeit“ einer Theorie als Voraussetzung dafür, von einer „universell gültigen Theorie“ sprechen zu können. Er bezeichnet „eine physikalische Theorie als universell gültig , wenn sie für die ganze ‚materielle‘ Welt gilt.“1
Eine Theorie ist nach Breuer dann „universell gültig“, wenn „.. kein Teil der Welt aus ihrem Gültigkeitsbereich ausgeschlossen ist.“ Damit wird jedoch per defintionem der „mentale Bereich“ problematisch.
Den Bereich des Mentalen muss, so Breuer, eine solche Theorie „nicht unbedingt beschreiben können. Falls jedoch Kausal– oder andere Relationen zwischen dem mentalen und dem materiellen Bereich bestehen, erlaubt die Theorie Rückschlüsse auf den mentalen Bereich. Je enger die Beziehungen zwischen dem materiellen und dem mentalen Bereich sind, desto mehr sagt eine ‚universell gültige Theorie‘ der materiellen Welt über den mentalen Bereich aus.“2
Breuer vertritt mithin also hinsichtlich der Frage der Einbeziehung des „mentalen Bereichs“ in „universell gültige Theorien“ zwar nicht die Position eines radikalen Reduktionisten, der mentale Phänomene (Wahrnehmungen, Bewusstsein, etc.) vollständig auf „physikalische Sachverhalte“ zurückführt, er verwirft aber die „Annahme des Reduktionismus“ auch nicht völlig. 3
7.1.2 Der aristotelische Anti-Reduktionismus
Geht man von dem Begriff „Natur„ (physis ) aus, wie ihn z. B. Aristoteles versteht, dann kann eine reduktionistische Physik keine „universell gültige Theorie“ im Sinne Thomas Breuers sein, da sie den mentalen Bereich der Natur, anders als Aristoteles, entweder völlig ausklammert bzw. nur im Rahmen des physikalistschen Materialismus „erklärt“ oder, wie Breuer, relativiert.
Eine derartige Theorie ist damit letzlich „unvollständig“, denn sie kann auf Grund einer nur quantitative Betrachtung der Wirklichkeit den qualitativen Phänomenen des Bewußseins (z. B. „Qualia„) nicht gerecht werden.
In seiner Physik und Metaphysik begründete Aristoteles eine „teleologische und holistische Naturphilosophie mit dem Streben aller natürlichen Dinge (sowohl materieller Entitäten als auch lebendiger Wesen) nach Zielen (Zwecken), die in ihrem Wesen begründet liegen.[1].“4
Die aristotelische Definition der vier Arten der Verursachung (materiell, formal, kausal und final) legte das Fundament für die Erklärung der Natur der (physikalischen) Dinge [physis] und ihrer Entwicklung (Veränderung) [vgl. 1.0 Teleologischer Holismus vs. physikalistischer Materialismus, 1.1 – 1.3].
7.1.3 Der neuzeitliche Anti-Aristotelismus
Die wissenschaftliche Entwicklung der letzten 400 Jahre gab jedoch die naturphilosophische Fundierung des abendländischen Weltbildes durch Aristoteles auf, indem sie die Erklärung der (physikalischen) Wirklichkeit auf die metaphysischen Postulate eines materialistischen Realismus begrenzte: i.e. auf starke Objektivität, kausale Determiniertheit, Lokalität, materialistischen Monismus und Epiphänomenalismus (des mentalen Bereichs).
Das physikalistisch-materialistische Weltbild beschränkte sich also auf die aristotelischen Verursachungsformen causa materialis (Materie) und causa efficiens (Kausalität), ignorierte aber (weitgehend) sowohl ‚Formursache‘ (causa formalis) als auch ‚Zweckursache‚ (causa finalis) als mögliche Erklärungsmodi.5
Dies bedeutet, dass eine materialistisch verengte Naturwissenschaft (Physik) der Neuzeit auf eine Deutung der „intrinsischen Natur“ der Welt und der von ihr ‚erkannten‘ grundlegenden „physikalischen“ Konstituenten (Materie, Energie, Felder, Bewusstsein, etc.) vielfach verzichtet.“
Als Folge geriet die Physik der Moderne z. B. durch die Einführung immer neuer Kräfte (Felder) in die Sackgasse einer ‚Mystifizierung der Materie‚ und konstruierte daher z. B. eine (widersprüchliche) quantenmechanische Doppelnatur von „Materie“ und „Welle“ zur Rettung einer abstrakten, materialistischen Ontologie.
Sie führte damit einen „… unnötigen Verlust metaphysischer Einsichten des Aristoteles und der aristotelischen Tradition“ herbei [‚…unnecessary loss of metaphysical insights of Aristotle and Aristotelian tradition.‘].“6
Zudem konnte experimentell nachgewiesen werden, „dass [quantenmechanisch, d. V.] durch die Beobachtung einer Gegebenheit der Beobachter diese beeinflusst.“7
Dies gilt auch für kosmologische Zusammenhänge, z.B. im de-Sitter Raum (vgl. 5.5.2.2)
- Thomas Breuer, Universalität und Unvollständigkeit: Eine Untersuchung über die Grenzen physikalischer Theorien, Habilitationsschrift Universität Salzburg, Geisteswissenschaftliche Fakultät, Institut fur Philosophie, November 1997, S. 7,[Digitale Ausgabe], URL: https://www.researchgate.net/publication/280247115 ↩︎
- Ib., S. 8 ↩︎
- Ib. S. 9 ↩︎
- Robert Koons, Knowing Nature: Aristotle, God and the Quantum, University of Texas, S. 1ff. [Digitale Ausgabe], URL: https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwiYxpPShJbsAhWOCOwKHbSECHIQFjAAegQIBRAC&url=https%3A%2F%2Fwww.academia.edu%2F42358860%2FKnowing_Nature_Aristotle_God_and_the_Quantum&usg=AOvVaw0s6CnL-6Txlm0uV1xoquSZ ↩︎
- Amit Goswami, Das Bewusste Universum: Wie Bewußtsein die materielle erschaft, Lüchow in J. Kamphausen Mediengruppe, 1997, S. 38 ↩︎
- Ib. S. 1 ↩︎
- Tal Eizman, Beobachtung beeinflusst Wirklichkeit,Publications and Media Relations Department Weizmann Institut, 26.02.1998, [idw], Informationsdienst Wissenschaft, [Digitale Ausgabe], URL: https://idw-online.de/de/news391 ↩︎
