5.6.8.1 Singuläres Universum oder Multiversum?
Der amerikanische Physiker Wladimir Rosenhaus (vgl. Abb. 1) vertritt in seiner Dissertation „The Holographic Principle and the Emergence of Spacetime,“ (2014) die These, dass die Schwierigkeit, eine holografische Dualität für einen „reinen, stabilen DE-Sitter Raum zu

Abb. 1 Vladimir Rosenhaus
entdecken“, möglicherweise darin liegt, „dass wir direkt das holografische Dual für das vollständige Multiversum finden müssen.“ Die entsprechende Theorie einer Zukunftsunendlichkeit müsste dabei ein „Fraktal„ sein (vgl. 5.6.6, 5.6.6.3, 5.6.6.6″. 1
Doch gibt es überhaupt ein Multiversum oder existiert nur unser spezifisches, singuläres Heimat-Universum? Der schwedisch – amerikanische Physiker Max Tegmark bejaht die Frage nach der Existenz eines Multiversums und hat sogar“.. vier verschiedene Arten von Multiversen in Erwägung gezogen, .. [der amerikanische Stringtheoretiker] Brian Greene [sogar] neun.“ 2
Abb. 2 Max Tegmark (2006)
Tatsächlich liefert die neuere Kosmologie eine Reihe von Argumente(n bzw. Indizen, die die Existenz eines Multiversums wahrscheinlich erscheinen lassen, und sie brachte mittlerweilen sogar diverse Multiversum Theorien hervor: 3
1. Everetts quantenkosmologische Viele-Welten
Interpretation
Abb. 3 Hugh Everett in 1964
Hugh Everetts Interpretation der Quantenmechanik führte bereits 1957 die Idee eines Viele-Welten Universums in die Kosmologie ein, die ihre quantenmechanische Beschreibung in einer „universellen Wellenfunktion“ (4.5.2) fand.
Everetts Theorie wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jhds. noch weitgehend von der Community der theoretischen Physiker ignoriert, kann jedoch heute durchaus als im Mainstream angekommen betrachtet werden. Ob Everett-Welten (ein „Kosmos relativer Zustände„) mit einem Multiversum (von einander unabhängige Paralleluniversen) gleichgesetzt werden kann (vgl. z.B. Bousso & Susskind, arxiv.org/abs/1105.379) , bleibt jedoch kontrovers.
2.Das Fine – Tuning Universum
Die Frage eines möglichen „Fine – Tunings“ unseres Kosmos , i.e. der Feinabstimmung wesentlicher Naturkonstanten, führte einerseits zur Postulierung des anthropischen Prinzips und der Vorstellung eines Intelligent Design Universums, wurde aber dann mit der Einführung des Konzeptes der „ewigen Inflation„ und der möglichen Existenz eines Multiversums zurückgewiesen, welches neben Myriaden anderer Universen mit unterschiedlichen Physiken auch unseren „feingetunten“ Kosmos hervorgebracht haben könnte (vgl. 5.6.8.2 b) Auf dem Weg zum Multiversum; vgl. auch 7.2.1).
Stephen Hawkings hat allerdings in seiner letzten wissenschaftlichen Arbeit (2018) zusammen mit dem belgischen Forscher Thomas Hertog von der Katholischen Universität Löwen die Hypothese vertreten, dass es „möglicherweise keine ewige Inflation und damit keine ‚Taschen-Universen‚ (Baby Universen) gäbe.
Die beiden Physiker kommen zu dem Ergebnis, das ein Multiversum daher nicht existiert bzw. zumindest wesentlich kleiner und unser Universum auch nicht unendlich, sondern „.. viel einfacher ist, als viele Urknalltheorien es aussagen“. 4 Die beiden Wissenschaftler stellen fest: „Unsere Ergebnisse wecken Zweifel an der weitverbreiteten Idee, dass die ewige Inflation ein hochgradig unregelmäßiges Universum mit einer Mosaikstruktur aus blasenartigen Regionen getrennt durch inflationäre Bereiche erschafft“, so die Forscher. „Es ist daher keine fraktale Struktur.“ Die These Hawkings und Hertogs ist jedoch bisher nicht verifiziert. 5
3. Die Calabi-Yau Welten der Stringtheorie
Die Stringtheorie entwickelte im Rahmen der M-Theorie die Vorstellung, dass es ungeheuer viele Calabi-Yau Welten (Parallelwelten) geben müsse: 10500-1000 (Susskind) oder mehr ( vgl. Stringlandschaft Modell).
4. Das Patchwork Multiversum Max Tegmarks
Ein Patchworkuniversum (Tegmarks Ebene-I-Multiversum) mit zahlosen Parallelwelten könnte sich in einem unendlich expandierenden Universum, jenseits des kosmologischen Horizontes (heute 42 Milliarden Lj. entfernt) entwickeln. Es wurde versucht, Abstand und Zahl (identischer) von Paralleluniversen vermittels des „Poincare’sche Wiederkehrsatzes„ abzuschätzen 6
Der Physiker Paul Natterer gelangte, ausgehend von 10118 möglichen Elementarteilchen in unserem Universum und einer Zahl von 210128möglichen Anordungen dieser Elementarteilchen zu dem Ergebnis, dass sich bei 1020 Anordnungen mit bewohnbaren Planeten die „nächstliegende identische Kopie unserer Erde 101028 Meter entfernt..“ befindet und 1010128 Meter von uns entfernt sollte sich unser gesamtes sichtbares Universum (= das Horizontvolumen) exakt wiederholen.“ 7
Eine Forschergruppe der TU Wien unternahm 2018 den Versuch, die „Poincare’sche Wiederkehr„ in einem Quantensystem mit bekanntem Anfangszustand experimentell zu „beweisen“.
Sie konnte zeigen, dass ein aus „1000 ultrakalten verschränkten Atomen“ bestehendes Quantensystem, das „auf einem Chip eingefangen war“ und sich unter den gegebenen Bedingungen „wie eine eindimensionale Superflüssigkeit“ verhielt, die Wiederkehr eines bestimmten Messwertes zeigt. Die Frage, ob ein Quantensystem zu einem Urzustand zurückkehren kann, darf also mit Ja beantwortet werden. 8
5. Die Bran Kosmologie
Folgt man dem stringtheoretischen Modell der Branenkosmologie, so „lebt“ unser Universum auf einer „Hyperebene„, einer vierdimensionalen Bran, die in einem höherdimensionalen Raum (dem Bulk) eingebettet ist, wo sie sich zusammen mit zahllosen (unendlich vielen?) anderen Parallellwelten bewegt.
Zusammenstöße von Bran-Welten eröffen die Möglichkeit von „Big Bang“ Ereignissen mit zeitlich getrennten Paralleluniversen.9
6. Das Matrix Universum Nick Boströms
Der schwedische Philosophen Nick Boström (* 10. März 1973 als Niklas Boström) hält es sogar für möglich, dass bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen unser bekanntes Universum eine Computer Simulation sei, die von einer technologischen Hochzivilisation mit nahezu unbeschränkten Rechenressourcen erschaffen wurde und zusammen mit „echten“ Universen ein Multiversum bildet.10
- Vladimir Rosenhaus, The Holographic Principle and the Emergence of Spacetime, Dissertation, University of California, Berkeley: 2014, p. 4, [Digitale Ausgabe], URL: https://digitalassets.lib.berkeley.edu/etd/ucb/text/Rosenhaus_berkeley_0028E_14218.pdf ↩︎
- Vgl. Max Tegmark, Our Mathematical Universe: My Quest for the Ultimate Nature of Reality (New York: Knopf, 2014); Max Tegmark, „Parallel Universes,“ Scientific American 288, no. 5 (2003): 40-51; Daniel Kleitman, „It’s You, Again,“ Inference: International Review of Science 2, no. 3 (2016), and a letter in reponse, Sheldon Glashow, „A Hand-Waving Exact Science,“ Inference: International Review of Science 2, no. 4 (2016); Brian Greene, The Hidden Reality: Parallel Universes and the Deep Laws of the Cosmos (New York: Knopf, 2011). Zitiert nach: George Ellis, „Physics on Edge“, in: Inference, Vol. 3, NO. 2 / August 2017, [Digitale Ausgabe], URL: https://inference-review.com/article/physics-on-edge#footnote-1 ↩︎
- Thomas Heindl, Multiversum Theorien und Parallelwelten – eine Übersicht, in: Allgemeine Theorie der Interaktion: weshalb alles existiert im interaktiven Multiversum, 2014, [Digitale Ausgabe], URL: https://interaktionstheorie.org/multiversum-theorien-eine-uebersicht/ ↩︎
- Artikel „Letzte Arbeit von Stephen Hawking veröffentlicht“, Spiegel, Wissenschaft, 02.05.2018, [Digitale Ausgabe], URL: https://www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/stephen-hawking-letzte-wissenschaftliche-arbeit-veroeffentlicht-a-1205843.html; vgl. S.W. Hawking and Thomas Hertog, „A smooth exit from eternal inflation?“, DAMTP, CMS, Cambridge; Institute for Theoretical Physics, University of Leuven, Springer Link, 2018, [Digitale Ausgabe], URL: https://link.springer.com/article/10.1007/JHEP04(2018)147 ↩︎
- Hawkings letzte Theorie: Posthum veröffentlichte Theorie liefert neue Sicht auf kosmische Inflation und Paralleluniversen, Scinexx, Das Wissensmagazin, 16. Mai 2021 [Digitale Ausgabe], URL: https://www.scinexx.de/news/technik/hawkings-letzte-theorie/ ↩︎
- Brian Greene, Die verborgene Wirklichkeit, Paralleluniversen und die Gesetze des Kosmos, aus dem Englischen von Sebastian Vogel, Siedler Verlag, München: 2012, S. 21 ff. ↩︎
- Paul Natterer, Die Mehrfachwelttheorie, 2010/2018, S. 4, [Digitale Ausgabe], URL: https://www.paul-natterer.de/file/c00e41099b5e9937ffff805cfffffff1.pdf ↩︎
- Florian Eigner, „Quantenwiederkehr: Alles wird wie früher“, TUW Wien, IdW, 22.02.2018, [Digitale Ausgabe], URL: https://idw-online.de/en/news689709 ↩︎
- Artikel „Branenkosmologie“, in: Wikipedia, [Digitale Ausgabe], URL: URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Branenkosmologie ↩︎
- Artikel „Simulationshypothese“, in: Wikipedia, [Digitale Ausgabe], URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Simulationshypothese ↩︎


