7.2.2 Materie und Bewusstsein: das Leib und Seele
(Körper und Geist) Problem
1. Die Dichotomie von Körper versus Geist und Geist versus Gehirn
Der deutsche Physiker Harald Atmanspacher (* 26. August 1955) weist in seinem Aufsatz „Quantum Theory and Consciousness: An Overview With Selected Examples“ (2004) im Zusammenhang mit der Körper-Geist Beziehung auf die Unterscheidung zweier fundamentaler Kategorien hin:
Abb.1: „Harald Atmanspacher ist Emeritus am Turing Zentrum der ETH Zürich. Nach seiner Promotion in Physik an der Universität München (1986) arbeitete er bis 1998 als Forschungswissenschaftler am Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching. Dann wirkte er als Leiter der Theorie Gruppe am Institut für komplexe Systeme. Im Anschluss war er bis bis 2013 Leiter des Instituts für Grenzgebietet der Psychologie in Freiburg. Seine Forschungsfelder umfassen die Theorie komplexer Systeme, konzeptionelle und theoretische Aspekte der (algebraischen) Quantentheorie, sowie Geist – Materie Beziehungen unter interdisziplinären Gesichtspunkten“.1
„In seiner allgemeinsten Form umfasst die Geist-Körper Unterscheidung nicht nur den Unterschied zwischen Geist und Körper sondern noch spezifischer zwischen Geist und Gehirn. Derartige Dichotomien wurden innnerhalb epistemischer und ontologischer Modelle dargestellt…
Ein wichtiger Gesichtspunkt der gesamten Diskussion über die Beziehung zwischen Geist und Materie ist, was mentale und materiale Zustände betrifft, die Unterscheidung zwischen Korrelation und Ursächlichkeit. Die gesamte empirische Wissenschaft basiert auf der Entdeckung von Korrelationen zwischen Zuständen und Eigenschaften des beobachteten Systems.
Im Gegensatz dazu wird der Begriff der Ursächlichkeit (oder Kausalität) verwendet um den Sinn von Korrelationen zu erklären, [die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung]…Im Zusammenhang mit dem Geist-Materie Problem besteht der Korpus des bestehenden Wissens im wesentlichen auf empirischen Korrelationen zwischen materiellen und mentalen Zuständen. Doch diese Korrelationen sind deskriptiv, nicht explanatorisch, .. i.e. nicht kausal bedingt.“2
Man wird feststellen können, dass das Leib-Seele Problem auch heute noch zu den ungelösten Rätsel gehört. Ist der Mensch eine „rein mechanisch agierende und auf das Verhalten der Neuronen reduzierbare Biomaschine?“ – wie es die Vertreter eines reduktionistischen Materialismus und Physikalismus behaupten – oder leben wir vielmehr in einer Welt, die durch einen Panpsychismus bestimmt ist,3 in der „[die gesamte] physische Wirklichkeit.. geistige [psychische] Eigenschaften [birgt]“ bzw. seiner Natur nach psychisch ist?4
Atmanspacher konstatiert in diesem Zusammenhang, dass sich die grundlegende Unterscheidung zwischen Geist und Materie heute auf die Prinzipien der „Reduktion“ (Reduktionismus) und der „Emergenz“ (Emergentismus) stützt, verbunden mit einem „dualistischen“ oder „monistischen Szenario“ [Dualismus bzw. Monismus].5
Eine Kombination der beiden „Szenarien kann auf Spinoza und Leibnitz zurückgeführt werden, das dualistische Modell (Trennung von Geist und Materie) und das monistische Modell (Einheit beider Aspekte) in einer gemeinsamen Darstellung.

Abb. 2: Porträt des Philosophen Benedictus de Spinoza, Ölgemälde um 1665, im Besitz der Gemäldesammlung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel

Gottfried Wilhelm Leibniz,
Porträt von Christoph Bernhard Francke, um 1700; Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig
Basierend auf einer solchen gemeinsamen Darstellung kann der Übergang von einem Wirklichkeitsbereich [„domain“], in dem Geist und Materie nicht getrennt sind zu Wirklichkeitsbereichen, in denen Geist und Materie getrennt sind, als Ergebnis eine Art allgemeiner Symmetriebruch betrachtet werden, der formal im Sinne einer ungleichwertigen Darstellung beschrieben werden kann .. Korrelationen zwischen geistigen und materiellen Aspekten der Realität könnten dann als Reste dieser primordialen Ebene [des Symmetriebruches] gedacht werden.“6
2. Die Begründung der dualistische Leib-Seele Ontologie durch René Descartes
René Descartes haben wir bereits kennengelernt (vgl. 2.1). Descartes prägte die Vorstellung, dass das menschliche Gehirn den Körper steuert und betrachtete den „Körper“ (res extensa) und den „Geist“ (res cogitans) als zwei getrennte „Substanzen„. Er begründete damit eine, auch in der Neuzeit noch weitgehend akzeptierte dualistische Auffassung des „Leib-Körper Problems“.
Descartes wies
(1) dem Geistigen (res cogitans) als Substanz Eigenschaften sui generis zu, die in der physischen Natur (res extensa), als dem Gegenstandsbereich der Mathematik (Naturwissenschaft), nicht auftreten.7
(2) Zugleich sah Descartes sich auch gezwungen, dem Denken (res cogitans), dem zweifelnden Ich, die einzige unbezweifelbare Wirklichkeit zuzuschreiben (cogito ergo sum).
Auf die Richtigkeit der empirischen Erfahrung und die Ergebnisse der Naturwissenhaft, können wir nach Descartes nur deshalb vertrauen, weil Gott kein „Betrüger“ ist (vgl. 2.1).
Entfällt jedoch in einer säkularen Welt wie der unsrigen diese theologische Begründung für die Existenz der Wirklichkeit außerhalb unseres Bewusstseins, könnten wir schlussfolgern, dass das „Bewusstsein“ bzw. die geistige Welt die einzig wirklich existierende Realität begründet (Panpsychismus), d. h. „alles Wirkliche .. psychischer Natur“ ist (vgl. auch 7.2.6) ist.8
Der schottische Philosoph Thomas Reid (1710-1796) legte andererseits dar, „dass die Philosophie Descartes‘, gefolgt von den philosophischen Werken Malebranches, Lockes, Humes und Berkeleys, zum Solipsismus führt.“9
Abb.3: Thomas Reid, geb. 26. 4. 1710 in Strachan bei Aberdeen; gest. 7. 10. 1796 in Glasgow10
Dieser These entgegnete jedoch der englische Philosoph John John Stuart Mill (1806-1873): „Durch welchen Beweis weiss ich oder auf Grund welcher Überlegungen werde ich dazu hingeführt zu glauben, dass die sich bewegenden und sprechenden Gestalten, welche ich sehe und höre, Gefühle und Gedanken, oder mit anderen Worten VERSTAND [GEIST] haben?
Erstens besitzen sie [andere Menschen] Körper wie ich, welche, wie ich in meinem Fall weiss, zunächst eine Bedingung für Gefühle ist; and zweitens, weil sie die Handlungen und äußeren Zeichen darstellen, die, wie ich in meinem durch Erfahrung Fall weiss, durch Gefühle verursacht werden (1865 [1872: 243]).“ (Beweis der Existenz/des Geistes Anderer durch Analogie11)
Die Diskussion über die Existenz der „Anderen“ bzw. ihres Geistes setzte sich mit unterschiedlichen Argumenten und Gegenargumenten bis in die Gegenwart fort, litt jedoch unter dem Problem der Beweisbarkeit im streng wissenschaftlichen Sinne: dies verrät z. B. das Argument, dass die These der Existenz [der Anderen] bzw. ihres Geistes die „beste Erklärung“ sei.
3. Vertrat Bischof George Berkeley einen
Abb. 4 George Berkeley als Bischof
„George Berkeley (* 1685 – † 1753) „war ein anglikanischer Theologe, Sensualist und Philosoph aus der Zeit der Aufklärung. .. Er leistete seine Beiträge aus der Sicht seines Wahrnehmens. Er folgerte daraus vor allem philosophische Ergebnisse über die Möglichkeiten, die Welt zu erkennen. Sie widersprachen den metaphysischen Theorien seiner Zeit. Seine Ergebnisse können als skeptische Antworten gelten. In der Folge seiner skeptischen bzw. zetetischen Annahmen vertrat er eine nominalistische Philosophie.“ 12
Der britische Germanist Walter H. Bruford vertritt in seinem Beitrag zum „Philosophie -Lexikon der Argumente“ die Auffassung: „Den Solipsismus vertritt Berkeley ebenso wenig wie Descartes, Kant, Mach oder Husserl. – Allerdings sind Sensualismus und Phänomenalismus in dieser Gefahr, weil die Wahrnehmungen immer nur meine sind.“ 13
Diese Darstellung teilt nicht die These Walter Brufords, sondern vertritt sie Auffassuung, das Berkeleys „esse est percipi“ („Sein ist Wahrgenommenwerden“) durchaus eine solipsistische Grundposition impliziert, die in dem quantenphysikalischen Interpretationszusammenhang der „Multi-Solipsismus“ Theorie Andrew Soltaus (vgl. 7.3.3) durchaus physikalische Relevanz gewinnt.
Die für die quantenmechanische „Multi-Solipsismus Theorie“ Andrew Soltaus relevanten Aussagen der folgenden Passage wurden von dem Verfasser farblich (gelb) markiert (vgl. 7.3.3).
„... Berkeley [musste] erleben, dass [seine] Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis bei ihrem Erscheinen kaum rezipiert wurde. Auch Berkeley schrieb deshalb eine Art Einführung in sein Opus magnum, die Drei Dialoge zwischen Hylas und Philonous
“ .. In den Drei Dialogen verwendet Berkeley nur zwei Dialogpartner. .. Da ist Hylas, der eine Art materialistische Position vertritt, und Philonous, der Liebhaber des Geistes, der Berkeleys idealistische Position einnimmt. Geist darf hier selbstverständlich nicht im Sinne eines Gespensts verstanden werden, sondern als Verstandeswesen, das die Welt zu erkennen und begreifen sucht – letzteres in fast wörtlichem Sinn. Hylas‘ Materialismus seinerseits darf nicht ganz im heutigen Sinn verstanden werden. Berkeley orientiert sich an der Antike; Beispiele für einen Materialismus, wie er ihn versteht, sind bei den alten Atomisten zu finden, bei Epikur und bei Lukrez. Deren Position ist es, die er unter dem Deckmantel des Hylas angreift. ..
Man könnte seine erkenntnistheoretische Position Phänomenalismus nennen, oder eben Idealismus. Berkeley selber nennt sie in Abgrenzung zu seinen Gegner Immaterialismus. Berkeleys Immaterialismus ist kein Solipsismus. Das Nous erkennt zwar nur seine eigenen Inhalte; allerdings sind ein paar dieser Inhalte so ‚konstruiert‘, dass das Nous aus deren Verhalten schliessen muss, dass es hier ein anderes Nous vor sich hat. Sein ist Erkannt-Werden oder Selber-Erkennen. Vor allem den zweiten Punkt macht Berkeley in den Drei Dialogen tatsächlich klarer als in der Abhandlung.
Philonous‘, also Berkeleys, Position wiederum entsteht aus einer konsequenten Fortführung der Ansätze von Descartes [vgl. oben 2. Die Begründung der dualistische Leib-Seele Ontologie durch René Descartes ] und Locke. Ausgangspunkt ist die erkenntnistheoretische Kernfrage, wie das Bewusstsein (Nous) zur Gewissheit adäquater Erkenntnis der Wirklichkeit gelangen könne. Berkeley kommt zum Schluss, dass das Bewusstsein sich nur seiner eigenen Inhalte (Phänomene, Ideen, ideas) gewiss sein könne.
Berkeleys Erkenntnistheorie ist nicht Selbstzweck. Im Materialismus sieht der Theologe Berkeley auch das Schreckgespenst des Atheismus aufscheinen. Das ungeordnete Chaos der Atome, das er bei Lukrez zu finden glaubt, macht ihm offenbar Angst. Somit sind die Drei Dialoge als Mittel der Bekämpfung der Atomisten, die es im 18. Jahrhundert immer noch oder schon wieder unter den Philosophen und Wissenschaftern zu finden gab, auch ein Instrument zur Bekehrung derselben zum Glauben. Berkeley führt dafür eine Art Gottesbeweis. Wenn die Dinge nur im Bewusstsein existieren, ihnen keine materielle Realität zukommt, können sie ja konsequenterweise nur existieren, so lange sie vom Bewusstsein wahrgenommen werden. Dreht er sich von seinem Bürostuhl weg, so, dass er ihn weder sieht noch sonst spürt, existiert der Stuhl für einen konsequenten Idealisten im Grunde genommen nicht mehr. Wenn er sich zurückdreht, steht der Bürostuhl allerdings immer noch genau so und genau dort, wo ihn seine Erinnerung zurück gelassen hat. Für Berkeley ist diese Schwäche der idealistischen Position genau deren Stärke. Esse est percipi – wenn also die Dinge noch genau so sind, wo und wie sie das Bewusstsein vor 5 Sekunden, 5 Stunden oder 5 Jahren erkannt hat, ist das für Berkeley der Beweis, dass sie in der Zwischenzeit als Inhalt eines andern Nous weiter existiert haben müssen. Bei der grossen Anzahl Phänomene, die offenbar weiter existieren, auch wenn kein menschliches Nous sie gerade zu ihrem Inhalt hat, kann das nur bedeuten, dass es ein ganz grosses Nous geben muss, das sie immer erkennt. Dieses ganz grosse Nous kann nur Gott sein: Gott schläft nicht, Gott umfasst alles. Q.e.d. [ Von einem nicht-christlichen Standpunkt aus kann dieses Argument keine Gültigkeit beanspruchen, d.V.]
In „sein[r] zweite[n] philosophische[n] Schrift „Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis“.[8] In dieser Schrift erläuterte er die beiden Grundprinzipien seines sensualistischen Ansatzes: ‚Sein ist Wahrgenommenwerden.‘ (esse est percipi) und „Sein ist Wahrnehmen.“ (esse est percipere)[9] Ferner beschrieb er im Hinblick auf die noch gesellschaftsweit vorherrschende aristotelisch-scholastische Philosophie seine Schlussfolgerungen aus diesen Prinzipien und kritisierte Locke, dessen Philosophie am Trinity College den Lehrkanon dominierte. Menschliche Vorstellungen (‚ideas‘) entstehen ausschließlich durch sinnliches Wahrnehmen (ein Grundprinzip). Das, was wahrnimmt – das andere Grundprinzip –, nannte er der zeitgemäßen philosophischen Sprechweise folgend ‚Subjekt‚, ‚Verstand‚, „‘Geist‚, ‚Seele‚ und mit einem moderneren Ausdruck „ich selber“...14
Berkeley behauptete – radikaler als Locke –, dass er weder die Substanz ‚Materie‚ noch die Substanz ‚Geist‚ für philosophisch begründbar hielte. „Die Existenz der äußeren Dinge besteht in ihrem Wahrgenommenwerden: esse est percipi. … Der Geist als solcher ist unerkennbar. Sein Wesen besteht … im Erfassen: esse est percipere. … er [Berkeley] ist … kein Idealist. Naturgesetze sind nur Zeichen. Kategorien wie Materie, Kausalität, Bewegung und Substanz sind entbehrlich.“ Dieser sensualistische Ansatz wurde im Zuge der britischen Aufklärung von David Hume konsequent zu Ende gedacht. ..
Sein Haupteinwand gegen die Abbildtheorie lautet, dass es keinen Sinn mache, vom Ding an sich [physikalisch: Quantenfeld] zu reden, weil es nicht wahrgenommen werde[22]. Der andere Aspekt seines Widerspruches gegen Locke ist der Hinweis darauf, dass Ideen nur Ideen ähnlich sein können:
‚… ich erwidere, dass eine Idee nur einer anderen Idee ähnlich sein kann, so wie eine Farbe oder Form nur einer anderen Farbe oder einer anderen Form.‘ – §8…
Zu Ideen kann man aber nur über das Wahrnehmen gelangen:
‚Ihr esse besteht im Wahrgenommenwerden. Es ist daher nicht möglich, dass ihnen irgendein Dasein außerhalb des menschlichen Geistes zukommt, bzw. von etwas wahrgenommen wird, was nicht denkt.‘ §3 ..
Daraus folgt, dass Berkeley den Dualismus von Locke, bestehend aus Dingen, wie wir sie wahrnehmen und sie wirklich sind, überwunden hat. Infolgedessen fällt auch die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Qualitäten und damit auch des Materiebegriffs weg (vgl. §§ 8–11), was Berkeley unter althergebrachten philosophischen Kategorien zu einem Immaterialisten macht. Anders gesagt: Menschen haben keinen anderen Zugang zur Welt als über menschliche Vorstellungen bzw. Ideen. Außer auf menschliche Ideen lassen sich menschliche Kenntnisse auf uns selber bzw. unseren Verstand, Geist … zurückführen.[23] Es gibt daher zwei Standbeine (‚heads‘), auf denen menschliche Kenntnisse beruhen: Auf etwas, das wahrnimmt (esse est percipere) nämlich wir selber, und auf etwas, das wahrgenommen wird, nämlich auf unseren Vorstellungen, auch Ideen genannt:
‚Aus den von mir aufgestellten zwei Axiomen ergibt sich direkt, dass Erkenntnisse einerseits auf menschlichen Vorstellungen und andererseits auf geistige Aktivitäten zurückzuführen sind.‘ – §86 .
Unter einem menschlichen Geist (spirit) versteht Berkeley etwas Aktives, Unausgedehntes, Unteilbares, Substanzielles, das wir nur intuitiv erfassen (vgl. §3.). Wir können keine Vorstellung des Geistes bilden, weil er nicht wahrgenommen wird. Diese intuitive Ahnung von uns selber ist die einzige Substanz in seiner Philosophie (vgl. §§ 2,7 u. 27.). Man kann keine Idee vom eigenen Geist haben (da er nicht wahrnehmbar ist), sondern nur einen intuitiven Begriff (notion).[24] Den Ideen wahrnehmenden Geist nennt Berkeley Verstand (understanding), den Ideen produzierenden Geist dagegen Wille (will). Dies bezieht er auch auf sein Gottesbild (vgl. §27). Ideen sind passiv, ohne eigene Aktivität, die nichts bewirken können und die nur im Geist existieren können. Lediglich der Geist, bzw. jeder Mensch selber kann Ideen hervorbringen und vernichten (vgl. §§25–28)‘ .
‚Ich bemerke, dass ich in ihm Ideen nach Belieben hervorrufen und die Szene, wann immer es mir angebracht erscheint, sich verändern und wechseln lassen kann. Ich brauche nur zu wollen, und schon taucht diese oder jene Idee in meiner Phantasie auf. Sie wird von mir selber getilgt und eine andere tritt an ihre Stelle.‘ (§28) .
Die Existenz nicht wahrgenommener Dinge zu beweisen, ist nicht möglich. Denn etwas das ist, muss wahrgenommen werden. Berkeley führt dazu aus:
Es ‚… wird eingewandt werden … dass Dinge in jedem Augenblick vernichtet und neu geschaffen werden. … Auf … das antworte ich, indem ich den Leser an die Ausführungen in den §§ 3,4 etc. erinnere und ihn zu erwägen bitte, ob das was er unter dem momentanen Dasein einer Vorstellung versteht, etwas von ihrem Wahrgenommenwerden Verschiedenes sei.‘ §45
Wenn er aber trotzdem behaupte, dass die Dinge existieren, auch wenn er sie nicht wahrnehme, so meine er Folgendes damit:
‚Befände ich mich außerhalb meiner Studierstube, so hätte meine Behauptung, dass mein Schreibtisch existiert, den Sinn, dass ich, wenn ich in meiner Studierstube wäre, ihn wahrnehmen könnte oder dass irgendein anderer ihn gegenwärtig wahrnimmt.‘ – §3
Niemand kann bestimmen, ob und was er wahrnehmen will. Es ist eine Schlussfolgerung – keine Wahrnehmung – dass alle Ideen von endlichen Geistern vom unendlichen Geist (Gott) stammen:
„Wenn ich am hellichten Tag die Augen öffne, so liegt es nicht in meiner Macht zu entscheiden, ob ich sehen werde oder nicht, oder auch welche einzelnen Gegenstände sich meinem Blick darbieten werden. Und genauso ist es beim Hören und anderen Sinneserregungen. Die ihnen gemäßen Vorstellungen sind nicht Geschöpfe meines Willens. Daraus kann man folgern, dass es einen anderen Willen oder Geist gibt, der sie hervorbringt.“ – §29
Dieser Umstand sei aber kein empirischer Beweis dafür, dass das Vorgestellte außerhalb von uns vorhanden ist. Auch wenn Menschen sich Sinnesreizen nicht entziehen können, haben sie nichts weiter als ihre Vorstellungen. Man könne lediglich auf Grund deren Eigenschaften folgern, dass sie nicht menschliche Produkte seien, sondern von einem anderen Geist erzeugt werden.„
4. Die Bedeutung der Quantenphysik für den traditionellen Leib – Seele Dualismus
Durch die Quantenphysik erhielt die Körper-Geist Problematik und die Frage der Existenz des Geistes der Anderen im Zusammenhang mit der kategorialen Unterscheidung zwischen „epistemisch“ und „ontologisch“ eine ganz neue Dynamik. (vgl. oben 1. Die Dichotomie von Körper versus Geist und Geist versus Gehirn), Die Texte Berkeleys lassen eine bemerkenswerte Vorwegnahme des quantenmechanischen Beobachters und einer quantenmechanischen Erkenntnistheorie aufscheinen.
Erwin Schrödinger (1887-1961), der Vater der quantenphysikalischen Wellenmechanik, bemerkte: „Das Bewusstsein kann nicht physisch erklärt werden. 15 Denn das Bewusstsein ist absolut fundamental. Es kann nicht in Bezug auf irgendetwas anderes erklärt werden. Dies ist eine durchaus radikale, wenn auch konsequente, Interpretation des cartesischen Dualismus.
5. Der Panpsychismus
Der freie Journalist und Buchautor Patrick Spät versucht daher in seiner Dissertation den (absoluten) Panpsychismus zu relativieren und durch sein Modell eines modernen, psychistischen Gradualismus abzumildern (vgl. 7.2.6). 16
6. Die materialistische Theorie des Geistes
„Materialistische Theorien des Geistes müssen das von René Descartes beschriebene Problem lösen können, dass die Existenz der äußeren Welt [res extensa] bezweifelt werden kann, denn wir sind uns nur der Qualia bewusst [z. B. der Farbe Rot oder das Gefühl von Schmerz, etc.].“17
1) Die Erklärung der Qualia. „Qualia sind uns subjektiv gegeben und man nimmt sie nur wahr, wenn man sie persönlich erlebt. Daher können wir sie auch nicht mit den Qualia anderer Menschen vergleichen, obwohl es darüber scheinbar einen (Grund-)Konsens geben kann. 18
2) Wo ist der Sitz des Geistes? Selbst, wenn es der materialistischen Theorie gelingen sollte zu beweisen, dass sowohl Qualia als auch äußere Gegenstände existieren, was bisher noch nicht widerspruchsfrei gelungen ist, müsste sie noch zeigen können, wo Qualia im Geist existieren. Trotz der Bemühungen des amerikanischen Philosophen David Lockwood (vgl. 7.3.2.1 Der holistische Quantenkosmos, 7.3.2.2) und einiger Experimente z. B. des Kognitionswissenschaftler Roger Shepards und Jacqueline Metzlers im Jahr 1971, kann von einer Lösung dieses Problems nicht die Rede sein.19
3) Die Einheit des Bewusstseins. Versuche, die Einheit des Geistes physikalisch zu untersuchen, z.B. durch Separation der beiden Gehirnhälften eines Menschen mittels einer Durchschneidung ihrer Verbindung, des corpus callosum (vgl. Abb. 5), wie etwa von dem amerikanischen Neurochirurgen William van Wagenen unternommen, führten letztlich nicht zu einer Aufspaltung des Bewusstseins, auch, wenn eine Kommunikation zwischen den beiden Hälften praktisch nicht mehr möglich war. Dennoch versuchten die Gehirnhälften, wie Experimente mit sogenannten „split-brain Patienten“ zeigten, fast immer zusammenzuarbeiten und eine Arbeit der Gehirnhälften gegeneinander erfolgte nicht. Gewisse Eigenschaften wurden auch noch von beiden Hemisphären erlebt.20
(4) Subjektivität. „Das grundlegenden Problem jeder materialistischen Theorie des Geistes liegt darin, dass Wissenschaft inhärent objektiv ist und daher die subjektive Natur des Bewußtseins nicht erklärt werden kann.
Im 17. Jahrhundert behauptete Thomas Hobbes (1568-1679), dass es einige Dinge gäbe, die unser Verstand einfach nicht zu erklären vermag… Im Jahr 1989 legte der britische Philosoph Colin McGinn nahe, dass der menschliche Geist unfähig sei, sich selbst vollständig zu verstehen und dass vielleicht nicht erwartet werden könne, dass wir das menschliche Bewusstsein besser verstehen könnten als wir erwarten können, dass ein Hund die Relativitätstheorie verstehen könne.“22
- Artikel „Harald Atmanspacher“, © 2000-2024 Pari Center, [Digitale Ausgabe], URL: https://paricenter.com/contributor/harald-atmanspacher/ ↩︎
- Harald Atmanspacher, „Qantum Theory and Consciousness: An Overview With Selected Examples“, in: Discrete Dynamics in Nature and Society, Mai 2004, pp. 51-73,, here: p. 53, [Digitale Ausgabe], URL:https://www.researchgate.net/publication/26531576_Quantum_theory_and_consciousness_An_overview_with_selected_examples/link/53e5bc0e0cf2fb74871827de/download ↩︎
- Patrick Spät, PANPSYCHISMUS – EIN LÖSUNGSVORSCHLAG ZUM LEIB-SEELE-PROBLEM, Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br., 2010, S. 2, [Digitale Ausgabe], URL: https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwjty6_IndnzAhUtgf0HHZWIDN0QFnoECAQQAQ&url=https%3A%2F%2Fd-nb.info%2F1004293372%2F34&usg=AOvVaw2–L4tVkbbBeVCzrvxjMyvU ↩︎
- Dorsch, „Psychismus“, in: Lexikon der Psychologie, [Digitale Ausgabe], URL: https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/psychismus ↩︎
- Harald Atmanspacher, „Qantum Theory and Consciousness: An Overview With Selected Examples“, in: Discrete Dynamics in Nature and Society, Mai 2004, pp. 51-73, here: p. 53, [Digitale Ausgabe], URL:https://www.researchgate.net/publication/26531576_Quantum_theory_and_consciousness_An_overview_with_selected_examples/link/53e5bc0e0cf2fb74871827de/download ↩︎
- Helen Klus, „26.4 Descartes‘ theory of the mind“, Chapter 26. Mind-Body dualism, [Digitale Ausgabe], URL: http://www.thestargarden.co.uk/Socrates-Plato-and-Aristoteles.html ↩︎
- Helen Klus, „28.1 Problem 1: Explaining qualia“, Chapter 28. Material theories of the Mind, [Digitale Ausgabe], 2017, URL: http://www.thestargarden.co.uk/Material-mind-vs-Descartes.html ↩︎
- Patrick Spät, PANPSYCHISMUS – EIN LÖSUNGSVORSCHLAG ZUM LEIB-SEELE-PROBLEM,
Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen
Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br., 2010, S. 2,
[Digitale Ausgabe], URL:
https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwjty6_IndnzAhUtgf0HHZWIDN0QFnoECAQQAQ&url=https%3A%2F%2Fd-nb.info%2F1004293372%2F34&usg=AOvVaw2-L4tVkbbBeVCzrvxjMyvU ↩︎ - Ulrich Walter Diehl, „Thomas Reid (1790-1796)“, in: Geschichte der Philosophie, 2018. (Digitale Ausgabe], URL: https://www.ulrich-walter-diehl.de/geschichte-der-philosophie/thomas-reid/l ↩︎
- Ib ↩︎
- Artikel „John Stuart Mill“, in: Lexikon der Philosophen, [Digitale Ausgabe], URL: https://www.philomag.de/philosophen/john-stuart-mill ↩︎
- Ausgabe], URL: https://www.philomag.de/philosophen/john-stuart-mill
Artikel „George Berkeley“, in: Wikipedia, [Digitale Ausgabe] URL: https://de.wikipedia.org/wiki/George_Berkeley ↩︎ - Walter H. Bruford, Artikel „Solipsismus“, in; Philosophie-Lexikon der Argumente, [Digitale Ausgabe], URL: https://www.philosophie-wissenschaft-kontroversen.de/details.php?id=268405&a=$a&autor=Berkeley&vorname=George&thema=Solipsismus#:~:text=Solipsismus:%20Ausdruck%20f%C3%BCr%20die%20These%2C%20dass%20die,Solipsismus%2C%20Internalismus%2C%20Externalismus%2C%20Wille%2C%20Selbstzuschreibung%2C%20Fremdpsychisches%2C%20Privatsprache%2C ↩︎
- Ib. ↩︎
- Helen Klus, „28.3 Problem 2: Where is my mind?“, in: Chapter 28. Material theories of the Mind, [Digitale Ausgabe], 2017, URL: http://www.thestargarden.co.uk/Material-mind-vs-Descartes.html ↩︎
- Patrick Spät, PANPSYCHISMUS – EIN LÖSUNGSVORSCHLAG ZUM LEIB-SEELE-PROBLEM,
Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen
Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br., 2010, S. 2,
[Digitale Ausgabe], URL:
https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwjty6_IndnzAhUtgf0HHZWIDN0QFnoECAQQAQ&url=https%3A%2F%2Fd-nb.info%2F1004293372%2F34&usg=AOvVaw2-L4tVkbbBeVCzrvxjMyvU ↩︎ - Helen Klus, „28.3 Problem 2: Where is my mind?“, in: Chapter 281 Problem 1: Explaining qualia, Material theories of the Mind, [Digitale Ausgabe], 2017, URL: http://www.thestargarden.co.uk/Material-mind-vs-Descartes.html ↩︎
- Ib. ↩︎
- Ib. ↩︎
- Helen Klus, „28.3 Problem 2: Where is my mind?“, in: Chapter 28. Material theories of the Mind, [Digitale Ausgabe], 2017, URL: http://www.thestargarden.co.uk/Material-mind-vs-Descartes.htm ↩︎
- Ib. ↩︎
- Ib. ↩︎




