5.5.2.2 Die Geometrie der De-Sitter Raumzeit
Für die „De-Sitter Raumzeit“ (DS) sieht die Situation im Unterschied zur AdS Raumzeitgeometrie gänzlich anders aus. Auch sie ist, wie die AdS Raumzeit, eine – im Jahr 1917 – von dem niederländischen Astronom Willem de Sitter (1872 – 1927) als Lösung der Einsteinschen Feldgleichungen beschriebene Variante des Einstein Universums.1
Abb. 1 Willem de Sitter
Die Methode z. B. einen flachen dreidimensionalen, euklidischen Raum ℜ3 durch eine gekrümmte Geometrie (wie den De-Sitter Raum) zu ersetzen besteht darin, den gekrümmten (DS) Raum in eine (fiktive) flache vierdimensionale Welt einzubetten (z. B. in den Minkowski Raum) und darin die Geometrie geeigneter dreidimensionaler Hyperflächen zu betrachten, i.e. dSd → Md+1. 2.
Das einfachste gekrümmte Modell des Raums ist die Fläche einer Hypersphäre, z.B. einer 3-Sphäre (S3), eingebettet in einen vierdimensionalen flachen euklidischen Raum ℜ4.
„Das De-Sitter-Raumzeit Universum weist die Topologie R1 x S3 auf, R1 ist die Zeit und S3 steht für die 3 Raumdimensionen [x, y, z].“ 3
Die De-Sitter Geometrie erzeugt ein materie- und strahlungsfreies, beschleunigt expandierendes Universum mit einer positiven kosmologische Konstante (Λ > 0), d. h. eine konstante positive skalare Krümmung, die an jedem Punkt durch eine einzige Zahl (Skalar) bestimmt wird.
Die Materiefreiheit des DE-Sitter-Raums verstößt allerdings gegen das Machsche Prinzip: „ohne Materie, keine Geometrie“ (Raumkrümmung).
Abb. 2 Krümmung der Raumzeit durch Massen
Dennoch scheint sich unser Kosmos auf Grund seiner beschleunigten Expansion zunehmend einer materiefreien De-Sitter-Geometrie anzunähern. Die Materie- bzw. Energiedichte unseres Universums beträgt zur Zeit (nur noch) ca. 30% (ca. 5% baryonische Materie und ca. 25% dunkle Materie), aber bereits 70% dunkle Energie, dem einzigen Bestandteil einer DE-Sitter Raumzeit.
Abb. 3 zeigt einen zweidimensionalen De-Sitter-Raum. Radius (l2 = X2) und Volumen erreichen zum Zeitpunkt t = 0 ihre Minimalwerte. Der DS Raum kann als 4-d Hyperboloid (eingebettet in einen fünfdimensionalen Minkowskiraum) veranschaulicht werden (2 Dimensionen wurden in Abb. 1 weggelassen), mit der Oberfläche –0X2+1X2+2X2+3X2+4X2 = 1⁄ H2 , wobei –0X2 bis –4X2 die Raumdimensionen darstellen und H die Hubble Konstante ist. In einem euklidischen Raum (ℜ3) – einem mit einem Skalarprodukt ausgestatteten Vektorraum (vgl. Fußnote [1] Matthias Scholz, „Wie sieht das Universum aus?) – entspricht der Hyperboloid einer unendlich großen Kugel, die aus der Vergangenheitsunendlichkeit kommend bis auf (fast) Null kontrahiert, um dann wieder auf unendliche Größe zu wachsen. Im vierdimensionalen Minkowskiraum O(3,1) bildet der De-Sitter Raum somit eine 3-Sphäre S3), „das Analogon zu einer Kugel im gewöhnlichen euklidischen Raum“.4
Die DS Geometrie beschreibt eine maximal symmetrische lorentzische Raumzeit (Lorentz Metrik: mit zeitartigen, raumartigen und lichtartigen Vektoren). Sobald der DS-Raum als leerer Raum approximiert werden kann – er ist, wie oben erwähnt, bereits heute zu ca. 70% materiefrei – kann auf Grund seiner maximalen Symmetrie kein Raum- und Zeitpunkt von einem anderen unterschieden werden, „weil jeder Punkt des DE-Sitter Raums durch eine Symmetrietransformation (Isometrie) auf einen anderen Punkt abgebildet werden kann“. 5 Seine Metrik wird durch den umgebenden Minkowskiraum erzeugt (Λ = 0) und besitzt eine (Lorentzische Signatur [- + + +].
„Die Geometrie des de Sitter Universums ist zudem theoretisch komplizierter als die des Einstein Universums, da nicht nur die drei Raumkoordinaten sondern auch die Zeitkoordinate Bestandteil der Krümmung der Raumzeit ist. Sie besitzt somit eine höhere Symmetrie als die Raumzeit des Einstein-Universums.“6
Interessant ist auch die Tatsache, dass man ein Friedmann-Robertson-Walker (FLRW) Universum – in Abhängigkeit von dem jeweiligen Krümmungsfaktors (k = 0, k = 1 oder (k = -1, i.e. abhängig von der Existenz einer flachen, geschlossenen oder offenen (hyperbolischen) Topologie) – durch geeignete Wahl der Einbettungs-Koordinaten so transformieren kann, dass es einen Teilraum des (DS) Hyperboloids bildet.
Die Anwendung der ursprünglich von Willem de Sitter verwendeter „statischen Koordinaten„, (bei k = 0), zieht zwei interessante Phänomene nach sich:
1.„Zeit fließt an unterschiedlichen Punkten mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und
2. es existiert ein ‚Ereignishorizont‚, an dem der Zeitfluss unendlich langsam wird“. 7
Die Wahl „planarer Koordinaten„ beschreibt einen flachen, exponentiell expandierenden Raum als einschaligen (halben) Hyperboloid.
„Globale Koordinaten„ definieren einen vollständigen, zunächst kontrahierenden und anschließend expandierenden Hyperboloid (vgl. Abb. 1).
„Konforme Koordinaten“ definieren, ebenso wie globale Koordinaten, einen vollständigen, einschaligen Hyperboloid (vgl. Abb. 1 und unten 5.5.3.2).8
Um den „Ereignishorizont“ einer De-Sitter Raumzeit genauer zu untersuchen (vgl. unten „Ereignishorizont“), führt man eine Transformation auf eine konform verwandte Metrik durch (z.B. eine Minkowski Metrik).
Zwei Metriken gμν (=Ausgangsmetrik) und ¯gμν (=konforme Metrik) heißen konform verwandt, wenn eine Funktion Ω (xμ) > 0 der Raumzeitkoordinaten existiert, so dass gilt ¯gμν = Ω2(xμ)gμν , wobei Ω den konformen Faktor (kosmischen Reskalierungsfaktor) darstellt, der die Ausgangsmetrik mit der konformen Metrik verknüpft.
Als konformer Faktor geeignet ist beispielsweise die Arcus Tangens Funktion. Sie ordnet einem Intervall von -∞ bis +∞ einen Intervall von -pi/2 bis +pi/2 zu. Sinn dieser Prozedur ist das Verhalten von Metriken im Unendlichen auf einen endlichen Bereich abzubilden wie im Penrose Diagramm ersichtlich. (2.97)21 [vgl. 5.5.3.2, Abb. 1].
Eine wichtige Eigenschaft konform verwandter Metriken ist nun, dass sie gemeinsame lichtartige Geodäten besitzen. Unter Ausnutzung dieser Eigenschaft können quantitative Aussagen über den Ereignishorizont gemacht werden. Zudem muss man sich klarmachen, dass die De-Sitter-Raumzeit ein für alle Zeiten expandierendes Modell darstellt, es gibt also keinen Kollaps, und die Koordinatenzeit kann beliebig groß positiv und negativ werden.]9
Die Horizonte des globalen De Sitter Raums sind raumartige Hyperflächen in der Zukunftsunendlichkeit ℑ+ und in der Vergangenheitsunendlichkeit ℑ– (vgl. 5.5.3.2, Abb. 1).10
Die asymptotische Region ℑ+ der DS Raumzeit ist eine raumartige Fläche, die mit der zeitartigen Zukunftsunendlichkeit zusammenfällt. Im Unterschied zu AdS ist zu erwarten, dass Strahlung durch durch ℑ+ läuft und dass Ladungen nicht erhalten werden. „Ladungen“ (Qs) (charges) sind zeitinvariante Generatoren (Erzeuger) einer Symmetriegruppe.
Ein DS Raum besitzt zwei beobachterabhängige Horizonte: einen kosmologischen Horizont („Teilchenhorizont„) und einen „Ereignishorizont„.
Der „Ereignishorizont„ des beobachtbaren Universums ist die größte Entfernung, aus der das
jetzt emittierte Licht den Betrachter in Zukunft jemals erreichen kann.
„Wir werden [in einem De-Sitter Universum] von allen anderen Welten durch einen großen kosmischen Horizont von etwa 17 Milliarden Lj. Größe getrennt sein. Jeder Beobachter in einem asymptotischen De Sitter Universum, das auf Grund seiner exponentiellen Beschleunigung einen Beobachter mit einem kosmologischen [Ereignis]Horizont umgibt, hat gewöhnlich keinen Zugang zu den Daten auf der Raumscheibe der Zukunftsunendlichkeit ℑ+ außerhalb des Beobachterhorizontes. Damit ist aber die physikalische Bedeutung der Informationen außerhalb des Beobachterhorizontes suspekt.“ 11
Der Teilchenhorizont (particle horizon) eines Beobachters O [unseres beobachtbaren Universums mit einem heutigen Durchmesser von 92 Milliarden Lichtjahren.] ist die Fläche, die zwischen den Teilchen, von denen O Kenntnis hat, und denen, die O nicht sehen kann, liegt, weil sich Teilchen jenseits dieses Horizontes zusammen mit dem expandierenden Raum mit Überlichtgeschwindigkeit entfernen. 12
„Die expandierende Hälfte der globalen De-Sitter Raumzeit (vgl. „globale Koordinaten„) entspricht approximativ dem expandierenden Universum des Inflationsmodells und unser [beschleunigt expandierendes] Universum nähert sich scheinbar immer mehr asymptotisch einer De-Sitter Raumzeit an.
Daher kann die De-Sitter Kosmologie ein Model für unser Universum in seiner frühen expansiven Phase und in seiner fernen Zukunft sein (Hawking and Ellis 1973) sein…“13
Auch, wenn unser Universum in ℑ+ asymptotisch einen De-Sitter Raum approximiert und möglicherweise eine holografische Theorie auf der Zukunftsunendlichkeit ℑ+ „lebt“, so können die Korrelationen auf ℑ+ durch kein physikalisches Experiment gemessen werden, da alle Punkte auf ℑ+ kausal nicht zusammenhängend sind [jedoch quantenmechanisch durch Verschränkung, vgl. 3.2.2]. 14
Der Beobachter, der in einem Spät-Zeit De-Sitter Raum lebt, findet sich „in einem kosmischen thermischen „Hohlraum“ („cavity“) umgeben von der Hawking Strahlung, die vom De-Sitter Horizont erzeugt wird und ist beschränkt auf die „statische Region“ seiner Hohlraum Welt („static patch“)15 Im Gegensatz zum Minkowski-Raum wird daher ein geodätisch bewegter Beobachter nie Kenntnis über den gesamten Raum erlangen. Es gibt Ereignisse, die zu keinem Zeitpunkt in seinem Vergangenheits– oder Zukunftslichtkegel liegen, die also keinerlei kausale Verbindung zu ihm aufweisen.
Ein dS4 De-Sitter Raum entspricht interessanterweise auch dem kosmologischen Modell eines „Big Bounce“ (vgl. Abb. 4): der Radius der Sphäre schrumpft solange t ❮ 0, erreicht dann seinen Minimalwert R bei t = ‚0‘ und expandiert dann wieder.16
Abb. 4. Gab es statt eines Uranfangs im Urknall nur einen Übergang von einem Universum ins nächste, einen „Big Bounce„?17
- Haradhan Mohajan, „A Brief Analysis of de Sitter Universe in Relativistic Cosmology“, Universität München, Munich Personal RePEc4 Archive, MPRA Paper No. 83187, , 18 June 2017, p. 2, [Digitale Ausgabe], URL: https://mpra.ub.uni-muenchen.de/83187/1/MPRA_paper_83187.pdf; Javier Huenupi, Ellie Hughes, Gonzalo A. Palma, Spyros Sypsas, Der kosmische Tanz des de Sitter-Raums – in: , Simple Science, Hochmoderne Wissenschaft einfach erklärt , 19. Apr. 2025. [Digitale Ausgabe], URL:Der kosmische Tanz des de Sitter-Raums – Simple Science; vgl. zu den topologischen Grundlagen des kosmologischen Raumes: Matthias Scholz, „Wie sieht das Universum aus? in: Naturwunder …, [PowerPoint-Präsentation,https [Digitale Ausgabe]: URL: http://www.astrolehrbuch.de/CO/Kosmologie11.pdf ↩︎
- Artikel “ De-Sitter Raum“, in Physik für Alle,[Digitale Ausgabe], URL: https://physik.cosmos-indirekt.de/Physik-Schule/De-Sitter-Raum ↩︎
- Haradhan Mohajan, „A Brief Analysis of de Sitter Universe in Relativistic Cosmology“, Universität München, Munich Personal RePEc4 Archive, MPRA Paper No. 83187, , 18 June 2017, p. 2, [Digitale Ausgabe], URL: https://mpra.ub.uni-muenchen.de/83187/1/MPRA_paper_83187.pdf ↩︎
- Ib. Geometrisch wird das Skalarprodukt zweier Vektoren ⃗a und ⃗b = |⃗a| |⃗b| cos∠ (⃗a,⃗b) „Skalarprodukt“, in Wikipedia, [Digitale Ausgabe], URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Skalarprodukt ↩︎
- Luboš Motl, „Antwort auf die Frage von Lurscher“, in: de sitter kosmologische Grenze S. 1 [Digitale Aussage], URL: https://antwortenhier.me/q/de-sitter-kosmologische-grenze-60953850980 ↩︎
- Haradhan Mohajan, „A Brief Analysis of de Sitter Universe in Relativistic Cosmology“, Universität München, Munich Personal RePEc4 Archive, MPRA Paper No. 83187, , 18 June 2017, p. 9, [Digitale Ausgabe], URL: https://mpra.ub.uni-muenchen.de/83187/1/MPRA_paper_83187.pdf ↩︎
- Ib., p. 2, ↩︎
- Christian Blohm, Der de_Sitter Raum, S. 8, [Digitale Ausgabe], URL: http://www.christianblohm.de/files/deSitter.pdf ↩︎
- Sebastian Boblest, Visualisierung für konstant beschleunigte Beobachter in gekrümmten Raumzeiten, Diplomarbeit, Universität Stuttgart, 2010, S. 21f. [Digitale Ausgabe], URL:https://www.yumpu.com/de/document/read/20677020/54m-institut-fur-theoretische-physik-der-universitat-stuttgart ↩︎
- Christian Blohm, Der de_Sitter Raum, S. 8, [Digitale Ausgabe], URL: http://www.christianblohm.de/files/deSitter.pdf ↩︎
- Garriga and A. Vilenkin, Holographic Multiverse, Universitat de Barcelona, Tufts University, Medford, 2009, p. 2, [Digitale Ausgabe], URL: https://arxiv.org/pdf/0809.4257.pdf ↩︎
- Christian Bohm, Der de_Sitter Raum, S. 8, [Digitale Ausgabe], URL: http://www.christianblohm.de/files/deSitter.pdf ↩︎
- Haradhan Mohajan, „A Brief Analysis of de Sitter Universe in Relativistic Cosmology“, Universität München, Munich Personal RePEc4 Archive, MPRA Paper No. 83187, , 18 June 2017, p. 2, [Digitale Ausgabe], URL: https://mpra.ub.uni-muenchen.de/83187/1/MPRA_paper_83187.pdf ↩︎
- Ib., p. 2, [Digitale Ausgabe], URL: https://mpra.ub.uni-muenchen.de/83187/1/MPRA_paper_83187.pdf ↩︎
- Lisa Dyson, James Lindsay and Leonard Susskind, Is there really a de Sitter/CFT duality, Stellenbosch Institute for Advanced Study, South Africa, p. 1 seq., [Digitale Ausgabe], URL: https://arxiv.org/pdf/hep-th/0202163.pdf ↩︎
- Artikel „Big-Bounce-Theorie“, in: Lexikon der Physik, Spektrum.de, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg: 1998, [Digitale Ausgabe], URL: https://www.spektrum.de/lexikon/physik/big-bounce-theorie/1559; vgl. auch David Walker,The de Sitter Space-Time and the Riemannian Space H4: Two Four-Dimensional Surfaces of Hyperboloids Embedded within the Five-Dimensional Minkowski Space-Time, p. 7, [Digitale Ausgabe], URL: https://www.sternwarte-luebeck.de/download/forschung/Hyperbolic_space.pdf ↩︎
- Nadja Podbregar, „Big Bounce statt Big Bang. War der Urknall wirklich der Anfang von allem?“ in: Scinexx, Das Wissensmagazin, 17. Mai 2019, [Digitale Ausgabe], URL: https://www.scinexx.de/dossier/big-bounce-statt-big-bang/ ↩︎




