1.3 Die Mystifizierung der „Materie“ durch die
neuzeitliche Physik
Während die neuzeitliche Physik (vgl. 2.0 Der neuzeitliche Anti-Aristotelismus) anders als Aristoteles „Materie“ und ihre Veränderungen in einem rein quantitativen Sinne und als „Materie an sich, mit eigenen, inhärenten Eigenschaften“ verstand (z. B. Räumlichkeit, Masse oder die Fähigkeit der Bewegung) und auf dieser Grundlage eine materialistische Ontologie entwickelte, wurde die Wesensnatur der „Materie“ besonders im Zuge der Erkenntnisse der Quantenphysik zunehmend mysteriöser. 1
Die ungeheure Vielfalt der durch Superposition in der Quantenwelle kodierten Spinrichtungen ist also durch eine einzige Messung nicht feststellbar. Es wären unendlich viele Messungen erforderlich (vgl. 7.3.3 „Multi-Solipsismus“:Der ontischen Dualismus der holographische Many Minds Theorie Soltaus).
Durch die fortschreitende Verschränkung von „Materieteilchen“ Messgerät und Umgebung (Holismus) z.B. bei einem Messprozess entsteht letzlich eine wellenförmig sich ausbreitende und verzweigende holistische Beziehungsstruktur der Quantenwirklichkeit, die sich letztlich als Quantenwelle des Kosmos manifestiert (vgl. 3.3 Das Verschränkungsprinzip, 4.0 Hugh Everetts Viel-Welten Interpretation der Quantentheorie)
Diese knappe Zusammenfassung der plausibelsten Interpretation der modernen Quantentheorie, der Viele-Welten Theorie Hugh Everetts, vermag vielleicht einen Eindruck davon vermitteln, welchen Weg die Physik der Materie von ihren Anfängen bei Aristoteles über den Materialismus der klassischen Mechanik , Maxwells Feldtheorie bis zur dramatischen Relativierung des materialistischen Weltbildes durch die Quantenphysik bereits zurückgelegt hat.
Erinnern wir uns daran, dass Aristoteles seine „Physik“ auf der Vorstellung gründet, dass alle materiellen Dinge letztlich auf metaphysischen Prinzipien beruhen: „Materie“ und „Form“, sowie „Potentialität“ und „Aktualität„ (vgl. 2.1 Der Dualismus von Materie und Geist.
Die neuzeitliche Physik hingegen verstand „Materie“ und ihr Verhalten zunehmend in einem abstrakten und fundamentalen Sinne. Auf dieser Grundlage entwickelt sie ihre materialistische Ontologie. Dies führt zuunächst dazu, das die Natur der Materie als Folge der Relativitätstheorie mit „Energie“ (E = mc2) gleichgesetzt, also relativiert wurde.
Die Kosmologie des 20. Jahrhunderts lieferte dann die „Erkenntnis“,dass „Materie“ in drei Formen auftreten kann: der herkömmlichen, aus Atomen bestehenden (baryonischen) „Materie“ (5%), der noch unverstandenen „dunklen Materie“ (20%) und der rätselhaften „dunklen Energie“.
Von der Materie der klassischen Physik bleibt also bestenfalls lediglich ein Residuum von lediglich 5% übrig.2
Nach dem Verständnis der modernen Quantenfeldtheorie bestehen die Grundbausteine der Wirklichkeit jedoch nicht aus Materieteilchen, sondern aus „Feldern“ und deren Feldpunkten, in der klassische Feldtheorie, bzw. den Feldoperatoren, in der Quantenfeldtheorie (vgl. 7.3.3.2 Das Standardmodell der Teilchenphysik und Feldtheorie). Teilchen entstehen somit letztlich als Quantenfluktuationen der Felder, sind mithin also sekundär.
- Robert Koons, Knowing Nature: Aristotle, God and the Quantum, , University of Texas, S. 6, [Digitale Ausgabe], URL: https://www.google.com/url sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwiYxpPShJbsAhWOCOwKHbSECHIQFjAAegQIBRAC&url=https%3A%2F%2Fwww.academia.edu%2F42358860%2FKnowing_Nature_Aristotle_God_and_the_Quantum&usg=AOvVaw0s6CnL-6Txlm0uV1xoquSZ ↩︎
- Dunkle Materie und dunkle Energie, In: Welt der Physik, Bundesministerium für Bildung und Fortschung, DPG, [Digitale Ausgabe: URL: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/dunkle-materie-und-dunkle-energie/ ↩︎
