5.7.2.4 Bildung eines Weißen Lochs durch
„Quantenrückprall“ („Bounce“) und „Überreste“
(„Remnants“)
1. Carlo Rovellis Hypypothese zur Entstehung Weisser Löcher
„[Carlo] Rovelli, einer der Begründer der Schleifenquanten Gravitation [LQG], beschrieb zusammen mit [Daryl] Haggard und anderen Physikern ein Szenario auf der Grundlage der LQG, ‚bei der ein Schwarzes Loch so klein wird, das es nicht mehr den für Sterne und Billiardkugeln geltenden Regeln des gesunden Menschenverstandes gehorcht.
Auf der Ebene eines [Schwarzen Lochs in der Größe eines] Elementarteilchens übernimmt die Quantenzufälligkeit die Herrschaft und das Schwarze Loch könnte sich in ein Weißes Loch transformieren‘.1
Grundlage für dieses Phänomen ist die Schleifenquanten-Theorie, nach der die Raumzeit aus schleifenartigen Raumquanten besteht, die Planckgröße, also 1,616 255(18) · 10-34 cm besitzen.
Abb. 1. „Die eingezeichneten Pfeile geben jeder der Linien eine Richtung (in der Sprache der Mathematik: eine Orientierung). Außerdem ist jede Linie mit einer Zahl beschriftet, einem ganzzahligen Vielfachen von 1/2. Der mathematische Hintergrund dieser Zahl ist derselbe wie beim Spin etwa in der Elementarteilchenphysik, eine Zahl, die man Elementarteilchen als charakteristische Eigenschaft zuordnen kann. Entsprechend heißen die Zahlen der Beschriftung auch in diesem Zusammenhang Spin. (Zusätzlich ist auch mit jedem Knotenpunkt eine Angabe verbunden. Deren mathematischer Hintergrund ist aber deutlich komplizierter, und wir werden sie in der folgenden vereinfachten Darstellung ignorieren.) Das Resultat ist ein so genanntes Spinnetzwerk. Es repräsentiert den Quantenzustand des Raums zu einem bestimmten Zeitpunkt.„2
Die Schleifenstruktur würde den Kollaps eines Schwarzen Lochs aufhalten. Der kollabierende Stern würde dann eine Phase erreichen, in der sein Inneres nicht mehr schrumpfen könnte, weil die Schleifen nicht auf etwas Kleineres zusammengepresst werden können. Vielmehr würden sie einen Druck nach außen ausüben, den Theoretiker Quantenrückprall [quantum bounce] nennen. Er würde das Schwarze Loch in ein Weißes Loch tranformieren. Dieser Vorgang würde eher durch einen ‚temporären scheinbaren Horizont‚ [‚apparernt horizon‚] als durch einen ‚echten, ewigen Ereignishorizont verborgen bleiben‘, stellt Rovelli fest.
‚Ein derartig enstandenes Weißes Loch, von der Größe eines Mikrogramms, .. würde, so Haggard, nicht das Gravitationsdrama seines schwarzen Vorfahren erleben, sondern ein hohles Inneres enthalten, dass die gesamte Information, die es in seinem früheren Leben verschlungen hat, verbirgt; zu klein, um Materie in seinem Orbit anzuziehen, könnte das Weiße Loch stabil genug bleiben, um schließlich die gesamte durch ihren Vorgänger angesammelte Information auszuspeien.'“3
Die Hypothese Rovellis et. alieni legt nahe, dass sich der Übergang von einem Schwarzen Loch zu einem Weißen Loch unmittelbar nach der Bildung des Schwarzen Lochs vollzieht. Da aber Gravitation die Zeit dehnt, würden Beobachter außerhalb sehen, dass das das Schwarze Loch, in Abhängigkeit von seiner Größe, Milliarden oder Billionen von Jahren oder länger existiert. Wenn die Vertreter dieser Hypothese recht haben, würden winzige Schwarze Löcher, die sich während der frühen Geschichte des Universums gebildet haben, nun kurz davor stehen wie Feuerwerkskörper zu explodieren und könnten als hochenergetische Kosmische Strahlung oder eine andere Strahlung entdeckt werden. Die Existenz Weißer Löcher könnte also doch das berühmte Problem des „Informationsparadoxes“ lösen: „Ein Schwarzes Loch saugt Materie/Energie auf, und das korrespondierende Weiße Loch stößte sie in einem anderen Teil des Universums oder in einem Paralleluniversum wieder aus. Information ginge nicht verloren, sondern würde nur in einem Weißen Loch „recycelt“ (vgl. 5.7.2.2) 4
2. Martin Bojowalds „Big Bounce“ – Hypothese

Abb. 2. Martin Bojowald | Der deutsche Physiker Martin Bojowald (geboren 1973) forscht derzeit an der Pennsylvania State University in den USA.
„.. Schleifenquanten Theoretiker [wie Bojowald, M. Nature Phys. 3, 523-525 (2007) und Agullo, I., Ashtekar, A. & Nelson, Phys. Rev. Lett. 109, 251301 (2012)] haben .. Berechnungen angestellt für den Fall, dass nicht nur ein Stern kollabiert, sondern ein ganzes Universum. .. Sie fanden heraus, dass auch ein Universum zurückprallen kann und schlussfolgerten, dass der Big Bang unseres Universums tatsächlich ein … ‚big bounce‚ gewesen sein könnte. Rovelli und Haggard haben nun gezeigt, das der Quantenrückprall kein vollständiges Universum voraussetzt, um sich plötzlich zu vollziehen.“5
Abb. 3. „Die[se] Kombination von Kollaps und Ausdehnung ist allerdings nur möglich, weil das Universum, wenn alle Ausdehnungen zu winzigen Längen geschrumpft sind, in ein Regime gerät, in dem die von der Schleifen-Quantengravitation postulierten Quanteneigenschaften von Raum und Zeit entscheidend werden. In der .. Abbildung ist das durch die Lupe und durch die sprungartige Struktur von Kollaps und erneuter Expansion nahe des Umkehrpunktes angedeutet: Die Quanten-Gleichungen der Schleifen-Modelle zeigen, wie sich das Universum durch den Bereich extremer Kompression hindurch entwickelt und danach in jene Phase der Expansion übergeht, in der wir uns heute noch befinden. Außerdem sagt die Theorie, dass sich der Raum am Umkehrpunkt sozusagen umstülpt, wie der Luftballon im obigen Beispiel – oder, mathematisch gesagt: seine Orientierung umkehrt.„6
3. Carlo Rovellis und Francesca Vidottos Kritik an Hal Haggards Hypothese der Instabilität Weißer Löcher
Carlo Rovelli und Francesca Vidotto, theoretische Physikerin an der baskische Universität Leioa, setzten sich mit der Hypothese Hal Haggards auseinander,
Abb. 4 Hal M. Haggard, Assistenzprofessor, Bard College, New York.
dass große klassische Weiße Löcher instabil sind und zu Schwarzen Löchern zerfallen. Diese Behauptung hatte Douglas M. Eardley, theoretischer Physiker am Kavli Inst. for Theoretical Physics der Universität von Kalifornien, zu beweisen versucht.7 Das von Rovelli und Vidotto angewendete Modell jedoch „zeigt, dass eine Quantensuperposition eines Weißen Lochs und eines Schwarzen Lochs in Planck Größe stabil sein sollte wegen des großen inneren Volumens. Diese Idee würde auch die Hypothese stützen, dass eine Komponente der Dunklen Energie aus den ‚Überresten‘ (remnants) verdampfter kleiner Schwarzer Löcher bestehen könnte.“8
5. Plancksterne
Im Verlauf des Kollapses erreicht die Materie, so Rovelli und Vidotto, die Planckdichte ρD = 5,155 x 1096 kgm–3 Bei diesem Wert soll der Kollaps als Folge anhalten. Die kollabierte Materie bildet dann in einen hochverdichteten Kern den Rovelli und Vidotto als „Planckstern„ bezeichnet haben, der relativ stabil ist und nicht zurückprallt (bounce), obwohl ein „Rückprall“ auch denkbar ist. Während dieser Bounce sich in kurzer Eigenzeit vollziehen kann, würde er, wie bereits erwähnt, für einen Beobachter außerhalb des Schwarzen Lochs möglichwseise Billionen Jahre dauern, als Folge der enormen gravitativen Zeitdilatation. Man kann den Radius eines solchen Plancksterns abschätzen, er würde im Fall von Sagitarius A* im Zentrum unserer Milchstraße etwa 10-10 m betragen, also immerhin die Größe eines Atoms und nicht, wie man vielleicht eher vermutet hätte Planchklänge lp = 1,616 255 · 10-35 m[2] .
„Nach der Vorstellung Haggards würden Weiße Löcher eines Tages das Universum dominieren, nachdem die Sterne ausgebrannt und Schwarze Löcher dahingeschwunden sind. Beobachter könnten dann diese Objekte als relativ große Partikel entdecken, spekuliert Haggard, aber diese Zeit liegt unzählige Billiarden Jahre in der Zukunft des gegenwärtigen Universums. ‚Es ist die verrückteste Zeitskala, die ich in der Physik angetroffen habe.‘ stellt Haggard fest.9
Andererseits könnten die Überreste eines Weißen Lochs überall existieren; für einen Physiker, der sich mit Schwarzen Löchern befasst, sieht die Explosion von Materie und Strahlung im Big Bang wie das potentielle Verhalten eines Weißen Lochs aus. ‚Die Geometrie ist sehr ähnlich in beiden Fällen,‘ so Haggard, ’sogar hinsichtlich einer gelegentlichen mathematischen Identität.'“10
Tatsächlich stellen die Vertreter dieser Hypothese fest, dass einige der dramatischen Strahlungsausbrüche, die man gemeinhin als Supernova Explosionen betrachtet, in Wirklichkeit die Todeskämpfe winziger sterbender Schwarzer Löcher sind, die kurz nach dem Big Bang entstanden. Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie prognostiziert, dass ein sterbender Stern, wenn er auf Grund seines eigenen Gewichts kollabiert, eine Schwelle erreichen kann, ab der der Kollaps irreversibel ist und keine bekannte Kraft der Natur gibt, die ihn aufhalten kann.“11
Stephen Giddings von der Universität von Kalifornien legte dar, dass „Information Schwarzer Löcher vielleicht auf eine weniger explosive Weise entkommen könnte, ermöglicht durch die körnige Quantenstruktur der Raumzeit. Das würde Fluktuationen in der Geometrie der Region unmittelbar außerhalb des Schwarzen Lochs verursachen, die durch ein zukünftiges Ereignishorizont-Teleskop, ein globales Netzwerk von Radioteleskopen entdeckt werden könnte, wenn es das Lichtmuster in der Umgebung von Sagittarius A*, dem suppermassiven Schwarzen Loch im Zentrum unserer Galaxie, studiert“.12
- [], URL: Ron Cowen, „Quantum bounce could make black holes explode: If space-time is granular, it could reverse gravitational collapse and turn it into expansion.“, in: NATURE, 17 July 2014, pp. 1 seqq., [Digitale Ausgabe], URL: https://www.nature.com/articles/nature.2014.15573.pdf: vgl. auch Hal. M. Haggard and Carlo Rovelli, „Black hole fireworks: quantum-gravity effects outside the horizon spark black to white hole tunneling“, pp. 5 seqq., [Digitale Ausgabe], URL: https://arxiv.org/pdf/1407.0989.pdf ↩︎
- Artikel „White holes: What we know about black holes‘ neglected twins“, in: Space. com, [Digitale Ausgabe], URL: https://www.space.com/white-holes.html ↩︎
- Pierre Martin-Dussaud, Black-to-White Hole Scenario: Foundation and Evaporation , PhD thesis, Aix-Marseille Université, June 2020. S. 123 ff., [Digitale Ausgabe], URL: https://arxiv.org/abs/2009.01788 ↩︎
- Ron Cowen, „Quantum bounce could make black holes explode: If space-time is granular, it could reverse gravitational collapse and turn it into expansion.“, in: NATURE, 17 July 2014, pp. 1 seqq., [Digitale Ausgabe], URL: https://www.nature.com/articles/nature.2014.15573.pdf ↩︎
- Douglas M. Eardley. Death of White Holes in the Early Universe. Phys. Rev. Lett., 1974, pp. 33:442, 444, [Digitale Ausgabe], URL: https://de.booksc.eu/book/22303960/e4f221 ↩︎
- Martin Bojowald, „Den Urknall überspringen“, in: Einstein online, Band 04 (2010), 01-1124 [Digitale Ausgabe], URL: https://www.einstein-online.info/spotlight/urknallsprung/ ↩︎
- Carlo Rovelli and Francesca Vidotto, Small blach/white hole stability and dark matter, Université de Toulon, University of the Basque Country pp. 1, 3, [Digitale Ausgabe], URL: https://arxiv.org/abs/1805.03872 ↩︎
- Ib. ↩︎
- Ib. ↩︎
- Ib. ↩︎
- Ib. ↩︎
- Ron Cowen, „Quantum bounce could make black holes explode: If space-time is granular, it could reverse gravitational collapse and turn it into expansion.“, in: NATURE, 17 July 2014, pp. 1 seqq., [Digitale Ausgabe], URL: https://www.nature.com/articles/nature.2014.15573.pdf ↩︎



