5.6.9.1 Voraussetzungen und Grundzüge der
Theorie J. Garrigas und A. Vilenkins
Die theoretischen Physiker J. Garriga und A. Vilenkin (vgl. 5.6.9) haben sich 2009 in ihrem Aufsatz „Holographic Multiverse“ mit der Zukunftsgrenze eines inflationären Multiversums beschäftigt und die These formuliert, „dass die Dynamik des inflationären Multiversums auf seiner Zukunftsgrenze (boundary) enkodiert ist, wo es durch eine niedrigerdimensionale Theorie beschrieben werden kann, die konform invariant im UV Bereich ist“ (vgl. zu „konform“, 5.5.2.2).
Abb. 1 „Die Größe unseres sichtbaren Universums (gelb) zusammen mit der Ausdehnung, die wir erreichen können (violett), wenn wir heute eine Reise mit Lichtgeschwindigkeit beginnen würden. Die Grenze des sichtbaren Universums liegt bei 46,1 Milliarden Lichtjahren, denn dies wäre die Grenze, von der aus ein Objekte, das Licht emittiert, uns heute gerade erreichen würde, nachdem die Grenze sich 13,8 Milliarden Jahre von uns weg ausgedehnt hat. Alles, das genau jetzt innerhalb eines Radius von 18 Milliarden Lichtjahren auftritt, wird uns letztendlich erreichen und auf uns einwirken, alles jenseits dieses Punktes hingegen nicht. Jedes Jahr überqueren weitere 20 Millionen Sterne die Grenze zwischen Erreichbarkeit und Nichterreichbarkeit.“ [Übersetzung d. Verf.]1
(Renormierbare) konforme Feldtheorien sind an ihren „kritischen Punkten“/„Fixpunkten„ (z. B. des „UV/IR Cutoff„) skaleninvariant.
Skaleninvarianz „beschreibt die Eigenschaft eines Zustands, Vorganges, Verhältnisses oder einer Situation, bei dem/der unabhängig von der Skala der Betrachtungsgrößen die Eigenart oder Charakteristik inklusive seiner/ihrer Eckwerte weitestgehend exakt gleich bleiben.
Eine Quantenfeldtheorie hat einen UV-Fixpunkt, wenn ihr „Renormierungsgruppenfluss„ sich einem Fixpunkt im ultravioletten Bereich annähert (d. h. bei kurzer Längenskala oder großer Energie)[1.]
Renormierungsgruppentransformationen erzeugen einen „Fluss“ (eine integrable Ein-Parameter-Kurve) von laufenden Kopplungskonstanten im Raum H der Hamiltonfunktionen .. Das Gegenstück zu großer Längenskala / kleiner Energiebegrenzung ist der Infrarot [IR] -Fixpunkt.
Die laufenden Kopplungskonstanten einer Quantenfeldtheorie definieren die Kopplungsstärke (Stärke einer fundamentalen Wechselwirkung) der Theorie, gemessen auf einer gegebenen Impulsskala. Ein Beispiel für eine solche Kopplungskonstante ist z. B. αgrav für die Gravitationswechselwirkung.

Abb. 2 [PDF] Laufende Kopplungskonstante Daniel Gütersloh. Die Abbildung zeigt die Veränderung der elektrischen Ladung Q bei unterschiedlichem (größerem oder kleinerem) Abstand von der nackten e– Ladung bzw. bei hoher oder niedriger Energie. Die nackte Ladung e0 ist unabhängig von der Masse des Elektrons.3
In Quantenfeldtheorien sind also die Kopplungskonstanten auf Grund von Quantenfluktuationen (virtuellen Teilchen) energieabhängig.
Die Abhängigkeit g(μ) der Kopplung von der Energieskala (höher oder niedriger) wird als laufende Kopplung (eng.: running coupling) bezeichnet. Die Theorie der laufenden Kopplung wird von der Renormierungsgruppe (RG) und ihrem „Fluss“ (siehe oben) beschrieben.
Die Aussage „konform invariant im UV Bereich“ bedeutet also, dass „die Werte des Impuls – Skalen Parameters k bei Annäherung an den Ultraviolett (UV) Grenzwert k nicht nach ∞ divergieren (→ ∞ UV Bereich), sonder finite (zählbare) Werte aufweisen.“ Dies ist notwendig, damit in Berechnungen keine Unendlichkeiten auftreten.
Konform invariante Quantenfeldtheorien beschreiben Felder, für die auch die Korrelationsfunktion ein spezifisches Verhalten zeigt, das die konforme Dimension der Felder erklärt und zu bestimmten Bedingungen der Korrelatorfunktion führt (vgl. zu „konformen Quantenfeldtheorien“: 5.5.3.2) [quantenmechanische Korrelationafunktionen ermöglichen die Quantifizierung der Korrelation unterschiedlicher Teilchen, z.B. die Dichte-Dichte Funktion, etc.]
Eine Korrelationsfunktion/Korrelator z. B. für ein euklidisches Feld ist ein Erwartungswert für Observablen bei einem gegebenen Quantenzustand.
„Ein Maß des Multiversums, das benötigt wird, um quantitative Wahrscheinlichkeitsvoraussagen [Erwartungswerte] zu extrahieren, kann also nach Auffassung der beiden Physiker „im Rahmen der Boundary Theorie [d.h. der konformen niedrigerdimensionalen CFT auf der Grenze eines Bulk Raums] durch Einführung eines UV Cutoffs abgeleitet werden... Im inflationären Bulk ist dieser eng verbunden (wenn auch nicht identisch) mit dem sogenannten Skalenfaktor Cutoff..4
In einem [durch ewige Inflation expandierenden] Multiversum geschehen alle örtlich begrenzten physikalischen Prozesse, die im Rahmen der Theorie erlaubt sind, unendlich oft. Es ist daher naheliegend, dass probabilistische Voraussagen auf einer statistischen Zählung des Auftretens der verschiedenen Arten von Prozessen, für die wir uns vielleicht interessieren, beruhen sollten.
Jedoch hängen die Ergebnisse dieser Zählung sehr davon ab, wie wir die Unendlichkeiten regulieren, denn unterschiedliche Regulatoren führen zu äußerst unterschiedlichen Ergebnissen, was die Wahrscheinlichkeiten angeht.
Das ist das sogenannte ‚Messproblem‚ der inflationären Kosmologie.5
Es wurden eine Reihe von Problemen entdeckt, die durch ein Maß vermieden werden sollen. Das wohl spektakulärste Paradox, das möglicherweise durch einen geeigneten Maßstab vermieden werden kann, ist das „Boltzmann-Gehirn Paradox“ (vgl. 5.6.9.2). 6
- Article, „Is the Universe infinite?“, in: BIG THiNK, April 18, 2022, NASA/ESA/A. Feild (STScI) [Digital Version]: URL: https://bigthink.com/starts-with-a-bang/universe-infinite/; zum Thema „Multiversum“ vgl. auch „Das Multiversum: Theorien, Beweise und die Faszination unendlicher Welten„, in: CowsoNEWS, Juni 26th, 2025 ↩︎
- S. Abbas, Bare Charge and Bare Mass in Quantum Electrodynamics, 1 May 2016, in Arxiv, [Digital Publication], URL: https://www.semanticscholar.org/paper/Bare-Charge-and-Bare-Mass-in–Quantum-Abbas/c817e5773444fdb9019a97554f397973fce14a07 ↩︎
- J. Garriga and A. Vilenkin, Holographic Multiverse, Universitat de Barcelona, Tufts University , Medford, 2009, pp. 5 seq. [Digitale Ausgabe], URL: https://arxiv.org/pdf/0809.4257.pdf ↩︎
- Eleni Tsaprazi & Christos Tsagas, Relativistic approach to the kinematics of large-scale peculiar motions, Eur. Phys. J. C (2020) 80:757, p. 2[Digitale Ausgabe]: URL: https://link.springer.com/article/10.1140/epjc/s10052-020-8312-0 ↩︎
- Rüdiger Vaas, DAS WAHNSINNIGE UNIVERSUM: Die ganze Realität könnte nichts als die Fantasie eines verrückten Gehirns sein, das zufällig dem Vakuum entsprang, Wissenschaft.de, 21. April 2009, https://www.wissenschaft.de/umwelt-natur/das-wahnsinnige-universum/ ↩︎

