7.2.6 Gradueller Panpsychismus: ein
Lösungsvorschlag zum Leib-Seele-Problem“
1. Grundegende Thesen zum Graduellen Panpsychismus
Der deutsche Buchautor und Journalist Patrick Spät vertritt in seiner philosophischen Dissertation „Panpsychismus: ein Lösungsvorschlag zum Leib-Seele-Problem“ (2010) die These eines „graduellen Panspsychismus„.

Patrick Spät, geboren am: 1982 in: Mannheim, lebt in Berlin
„Die gesamte physische Wirklichkeit birgt geistige Eigenschaften. Der von Alfred N. Whitehead und Pierre Teilhard de Chardin inspirierte Graduelle Panpsychismus impliziert dabei nicht, dass beispielsweise Steine oder Telefone ein bewusstes Erleben aufweisen, das dem unseren gleicht – eine Behauptung, die sich in vielen Schriften und Lexika finden lässt. Ein Beispiel: ‚Panpsychismus […], Lehre, nach der alles beseelt ist; genauer die Lehre, dass im Universum alles eine psychische Natur besitzt, die jener des Menschen analog ist.„1
Späts zentrale Aussage lautet dagegen:
In der Wirklichkeit liegt eine graduelle Ordnung des Geistigen vor, „die mit der Komplexität physischer Dinge und lebender Organismen kontinuierlich zunimmt. Auf der Ebene der Elementarteilchen herrscht demnach nur eine äußerst simple und rudimentäre Form des Geistigen vor, aber keinerlei bewusstes Erleben, das dem unseren ‚analog‘ ist. Erst durch komplexere Anordnungen des Physischen – wie sie bei Lebewesen anzutreffen sind – können sich parallel auch komplexere Formen des Geistigen entwickeln.“2
Unter Geist versteht Spät im weitesten Sinne die Fähigkeit Informationen verarbeiten zu können, wobei man unter Information die bekannte Definition des Kommunikationstheoretikers Gregory Bateson (1904-1980) zugrunde legen kann: „A ‚bit‘ of information is definable as a difference which makes a difference“ [„Ein Bit Information ist definierbar als ein Unterschied, der einen Unterschied ausmacht.“]. 3
Späts Begiff Geist bezieht sich dabei sowohl auf Formen eines „bewußten Erlebens“ (Bewußtsein) „als auch auf unbewusste Prozesse der Informationsverarbeitung.“(Unterbewusstsein). 4
Bewusst erlebtes Geistiges (bewusstes Erleben) weist im Unterschied zu unbewussten geistigen Prozessen bestimmte Merkmale auf:
es ist „unaussprechbar„, „subjektiv„, „leiblich„, „qualitativ„, „unteilbar„, „unbezweifelbar„, „selbstbewusst„,“intentional„. 5
2. Späts wesentliche Prämissen
„(1) Geistige Eigenschaften sind wirklich und unhintergehbar, sie lassen sich also nicht auf physische Eigenschaften reduzieren. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften sind nicht falsch, doch sie haben einen begrenzten Gültigkeitsbereich: Die Eigenschaften des Geistes können naturwissenschaftlich weder vollständig beschrieben noch erklärt werden.
(2) Der [graduelle] Panpsychismus bezweifelt auch die Möglichkeit einer starken Emergenz des Geistigen, da diese ihrerseits den Naturgesetzen zuwiderläuft. Die panpsychistische Weltsicht ergibt sich gerade aus einer zentralen Annahme der Naturwissenschaft: Physisches kann einzig und allein Physisches hervorbringen, nicht aber Geistiges. Eine creatio ex nihilo des Geistigen – also eine ‚Schöpfung aus dem Nichts‘ – gleicht dem Versuch, aus Wasser Wein zu gewinnen. Daher bilden geistige Eigenschaften einen fundamentalen, immateriellen Bestandteil der gesamten Wirklichkeit.
(3) Die Dimension des Geistigen beschränkt sich nicht auf das Bewusstsein höherentwickelter Organismen: Der Graduelle Panpsychismus bietet einen Lösungsvorschlag zum Körper-Geist-Problem, der sowohl den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen als auch dem eigenständigen Wirklichkeitsbereich des Geistes gerecht wird. Die physische Wirklichkeit besteht nicht aus bloß ausgedehnten Dingen (res extensa), sondern sie ist von geistigen Eigenschaften durchdrungen. Dadurch postuliert der Panpsychismus auch keine Anomalien in Hinsicht auf die Möglichkeit der mentalen Verursachung, wie etwa der physikalistische Naturalismus und der Interaktionismus: Der (bewusste) Geist übt einen kausalen Einfluss auf den Körper aus, der ebenfalls vom (nichtbewussten) Geistigen durchdrungen ist. Diese nichtbewussten geistigen Eigenschaften sind Prozesse, bei denen rudimentäre Informationen verarbeitet werden.
(4) Das moderne Denken und vor allem der physikalistische Naturalismus stehen in der direkten Erbfolge von Descartes: Dessen Substanzbegriff impliziert, dass das Physische für sich bestehen kann, bloße Ausdehnung und damit bar jeder qualitativen Wirkkräfte ist. Durch diese Auffassung wird die Wirklichkeit als ein funktionales Graphensystem beschrieben, da die intrinsischen (geistigen) Eigenschaften abgeblendet werden. Zudem kann durch einen rein funktionalen Begriff des Physischen nicht erklärt werden, wie sich komplexe Ordnungen und schließlich das Leben entwickeln. Die moderne Physik und metaphysische Überlegungen führen zu einem dynamischen Bild des Kosmos: Nur geistige Eigenschaften können das Fundament der Wirklichkeit zusammenhalten und ihre stete evolutionäre Entwicklung plausibel machen…“6
3. Hempels Dilemma
Beim Physischen sehen wir uns einerseits Hempels Dilemma gegenübergestellt, andererseits der naturwissenschaftlichen Methode, die nicht klärt, was bestimmte Dinge sind, sondern lediglich, wie sie sich verhalten.
Eine Definition des Physischen sieht sich stets Hempels Dilemma ausgesetzt, benannt nach dem Philosophen Carl Gustav Hempel. 7 Der physikalistische Naturalist hat zwei Möglichkeiten, das ‚Physische‚ zu definieren:
Abb 2: Carl Gustav Hempel (1905 – 1995), deutscher Philosoph, Logiker und Epistemologe
(1)“ Definiert er es entsprechend dem Kenntnisstand der gegenwärtigen Physik, so muss seine Definition zwangsläufig unvollständig sein, da die gegenwärtige Physik bislang keine lückenlose Beschreibung aller im Kosmos auftretenden Phänomene liefert. Außerdem kann sich die gegenwärtige Physik (teilweise) als falsch erweisen, denn es kann jederzeit – wie im Fall der Relativitätstheorie von Einstein – zu einem gravierenden Paradigmenwechsel kommen, der unser derzeitiges Verständnis des Physischen entscheidend verändert.
(2) Verweist er [‚der physikalistische Naturalist‚] auf eine zukünftige, vollständige Physik, die einer ‚Theory of Everything‚ gleichkommt, so ist seine Definition nichtssagend, da er sie nicht näher spezifizieren kann. Denn er beruft sich auf eine Physik, die derzeit schlichtweg nicht existiert und von der wir nicht im Geringsten wissen, welche Form sie annehmen kann. Seine Theorie wird also solange trivial bleiben, bis eindeutige Bedingungen gegeben sind, die klären, was überhaupt ‚physisch‘ bedeutet..
Aus diesem Grund lassen sich auch die Eigenschaften des Geistigen nicht klar herausstellen: Der einzige Zugang zu diesen Eigenschaften besteht in unserem direkten, innerlichen Erleben. Schon dann, wenn wir über unseren Gemütszustand sprechen wollen, stoßen wir an unsere Grenzen.“8
- Patrick Spät, Panpsychismus: ein Lösungsvorschlag zum Leib-Seele-Problem, Dissertation, 4. Juni 2010, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br., S. 3, [Digitale Ausgabe], URL: https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwjylOTbt7v0AhW57rsIHU5xB3cQFnoECBYQAQ&url=https%3A%2F%2Fd-nb.info%2F1004293372%2F34&usg=AOvVaw2-L4tVkbbBeVCzrvxjMyvU ↩︎
- Ibd. ↩︎
- Ibd., S. 18 ↩︎
- Ib., S. 3f. ↩︎
- Ib., S. 11ff. ↩︎
- Ib. ↩︎
- Ib., S. 3ff. ↩︎
- Ib., S. 11ff. ↩︎


Schreibe einen Kommentar