8.1.1 Erlösung als Zielsetzung (Telos) der
kosmologischen Evolution
1. Ein „darwinistischer“ Ansatz: Lee Smolins Idee der „natürlichen kosmischen Auslese“
Lee Smolin, Professor für Physik an der Pennsylvania State University, entwickelte in seinem Buch ‚Warum gibt es die Welt?‚ (‚The life of the cosmos‚) die Idee .. der ‚natürlichen kosmischen Auslese‚- eine Analogie zur darwinschen Theorie der Evolution: Könnte nicht die genaue Abstimmung der Naturkonstanten, die für unser reich strukturiertes Universum eine notwendige Voraussetzung ist, oder gar die physikalischen Gesetze selbst, Resultat eines Evolutionsprozesses sein?
Abb. 1 Lee Smolin an der Harvard University (2004)
Smolins “ .. Idee unterstellt .. dass die Naturgesetze selbst veränderlich seien; und die einzige Stelle, an der eine solche Veränderung stattfinden kann, in den Schwarzen Löchern, beim unaufhaltsamen Sturz der Materie in eine Singularität, ist...1
... Wir wissen nicht, was im Inneren der Schwarzen Löcher vor sich geht. Das ist letztlich darauf zurückzuführen, dass bislang alle Versuche, die Quantentheorie und die Allgemeine Relativitätstheorie in einer einheitlichen, grundlegenden Theorie zu vereinen, gescheitert sind. Bemerkenswerterweise haben diese Misserfolge einige Forscher veranlasst, die Lösung aller Rätsel im Urknall und in den Schwarzen Löchern zu suchen. Smolin spekuliert nun, dass sich der Kollaps, sobald eine sehr hohe Dichte erreicht ist, in eine Expansion, einen Urknall umkehren könnte.“2 [vgl. 5.7 und 5.7.2.2].
„In dem neu entstehenden Universum würden möglicherweise die physikalischen Gesetze von den bisher gültigen abweichen. Es entsteht also in den Schwarzen Löcher eine Population von Universen; jedes unter ihnen ist ein wenig verschieden von den anderen. Wie beim Wachsen von Bakterienstämmen wären am Ende die häufigsten Universen diejenigen, die sich am besten vermehren, das heißt ihrerseits die meisten Schwarzen Löcher hervorbringen. Wir selbst befinden uns deshalb – mit hoher Wahrscheinlichkeit – in einem vermehrungsfreudigen Universum.
Das ist eine Darwinsche Theorie der Evolution von Universen. Phantastisch, aber zunächst nicht einmal falsch, denn solange es keine Theorie der Quantengravitation gibt, kann über das Innenleben eines Schwarzen Loches frei verfügt (?) werden. Sogar ein komplettes Universum läßt sich dort unterbringen [vgl. 5.7.2.5]. Durch den Horizont des Schwarzen Loches dringt kein Signal nach draußen. Dies macht die Theorie immun gegen Beobachtungstests.
Allenfalls die Behauptung, das Universum sei so beschaffen, dass es eine Maximalzahl Schwarzer Löcher hervorbringt, ließe sich eventuell überprüfen. Andererseits verändert die Aufhebung der Singularität auch den Ereignishorizont, jene Grenze um ein Schwarzes Loch, die weder Materie noch Information durchläßt. Es könnte damit auch eine Verbindung zwischen Innen- und Außenraum bestehen, was Auswirkungen auf Smolins Überlegungen haben müßte. Eigentlich ist seine Evolutionstheorie wieder nur das durch die Schwarzen Löcher aufgerüstete anthropische Prinzip.
Einfacher wäre es wohl, ein unendliches Universum mit einer räumlichen Variation der physikalischen Gesetze und Konstanten zu postulieren. Wir würden darin den Teilbereich bevölkern, der für die Entstehung von Leben günstige Bedingungen bietet. Außerdem ist es nicht zwingend erforderlich, das Universum als typischen Fall zu verstehen. Diese einzigartige Konfiguration könnte ja auch ein statistisch äußerst unwahrscheinliches Ereignis sein.“3
Wie immer die hochspekulative Vererbungstheorie Smolins beurteilt wird, erscheint die Idee einer „darwinistischen“ Entwicklung der Universen und damit der Möglichkeit der Evolution zunehmender biologischen und geistigen Komplexität und der möglichen Genese einer quasi-göttlichen Entität als faszinierende Möglichkeit.
(2) Ein stringtheoretischer Ansatz
Ein weiterer Ansatz der Erklärung der möglichen Emergenz einer quasi-göttlichen Entität beruht auf auf dem Konzept der Entstehung der Myriaden Kosmen des Multiversums aus einer „Quantenlandschaft“ (vgl. 5.5.7, 2. Laura Mersini-Houghton). Damit verbindet sich die Idee der möglichen Genese und Evolution einer quasi-göttlichen Entität in einem Kosmos mit besonders günstigen Entwicklungsmöglichkeiten.
Dies könnte sich im Kontext einer oder mehrerer galaktischer (Super)Zivilisation(en) aus der Erschaffung einer (oder mehrerer) technologischen Singularität(en) als Kern(e) einer sich letztendlich sich final manifestierenden Omega Entität vollziehen.
Die Zielsetzung der kosmologischen Evolution liegt auch bei dieser Option in permanenter Weiterentwicklung, Optimierung und Differenzierung, die eine exponentiell wachsende komplexe Geistigkeit einer singulären quasi-göttlichen Entität plausibel erscheinen lassen. („Erlösungsmöglichkeit“).
Aus der Perspektive durch einen selbst-organisierten Prozess entwickelten bewussten Geistwesen (z.B. des Menschen)- im Kontext eines Multiversums – zielt die Teleologie der kosmologischen Evolution letztlich in der „Erlösung“ dieser Geistwesen („Erlösungsobjekte“) von ihrer evolutionär bedingten biologischen Kontingenz und existenziellen Begrenzheit („Erlösungsbedürftigkeit„).
- Gerhard Börner, „Warum gibt es die Welt? Die Evolution des Kosmos.“, in Spektrum.de, 08.11.2002, [Digitale Ausgabe], URL: https://www.spektrum.de/rezension/warum-gibt-es-die-welt/611064 ↩︎
- Ibd. ↩︎
- Ibd. ↩︎

