5.6.5.1 Die holografische Verschränkungsentropie
Hypothese Rye- Takayanagis


Abb. 1 Tadashi Takayanagi, „Professor am Yukawa-Institut für Theoretische Physik der Universität Kyōto„.
Abb. 2 Shinsei Rye, Professor an der Princeton University.
Die japanischen Physiker Shinsei Rye (* 1976 oder 1977) und Tadashi Takayanagi (* 1975 in der Präfektur Tokio) legten in ihrer Arbeit „Holographic derivation of entanglement entropy from AdS/CFT“ (7. März 2006) „eine durch die AdS/CFT Korrespondenz (vgl. auch 5.6.5) angeregte holografische Ableitung [Interpretation] der Verschränkungsentropie in konformen [Quanten] Feldtheorien.„1 vor. [Übers. d. Verf.]
Die beiden Physiker postulierten, dass eine „d+1„ dimensionale konforme Feldtheorie aus dem Flächeninhalt einer „d„-dimensionalen Minimalfläche in einem Raum [„zu einer gegebenen Randkurve eine Fläche mit kleinstem Flächeninhalt„]2 – in Analogie zu der Bekenstein-Hawking Formel für die Entropie Schwarzer Löcher – gewonnen werden kann.3
In einem weiteren Aufsatz vom Mai 2006 beschrieben sie ihren Ansatz wie folgt: „In einer allgemeineren Klasse konformer Quantenfeldtherorien können wir stattdessen eine geometrische Entropie) in Betrachtung ziehen. Diese wird als von Neumann Quantität namens Verschränkungsentropie (oder Entropie SA definiert [vgl. 5.5.3], wenn wir die Freiheitsgrade innnerhalb einer d-dimensionalen raumartigen Unterregion B in einer gegebene d+1 dimensionalen CFT „ausspuren“ oder „verschmieren“). Sein Gegenstück (Komplement) wird durch die Unterregion A gekennzeichnet. Sie misst wie ein gegebenes Quantensystem verschränkt oder wie stark es korreliert ist.“ [Übers. d. Verf].4
(1) Was besagt die Rye-Takayanagi Hypothese? Die Aussagen Rye und Takayanagis sind starker Tobak und müssen erst einmal aufgedröselt werden.
Rye und Takayanagi behaupten, eine holografische Ableitung (Beschreibung) der Verschränkungsentropie für eine konforme Feldtheorie im Kontext einer AdS/CFT Korrespondenz liefern zu können. Die Bedeutung des „holografischen Prinzips“ haben wir bereits kennengelernt (vgl. 5.4.2 und 5.1 ), ebenso die „konforme Quantenfeldtheorie“ (vgl. 5.5.3.2) und die „AdS/CFT Korrespondenz“ (vgl. oben 5.5.4).
Die Dimensionsangaben für den den Anti-De Sitter Raum und für die Dimensionalität der CFT beziehen sich in der Arbeit Rye/Takayanagis vom 7. März 2006 auf ein konkretes Modell, i.e. eine zweidimensionalen Quanteneldtheorie auf einem dreidimensionalen AdS-Raum (AdS3/CFT2).5
Abb. 3 zeigt einen d2+1 dimensionalen Anti-De Sitter Raum (2 horizontale räumliche Dimensionen und 1 senkrechte Zeitdimension (t), dargestellt als Zylinder, dessen obere und untere Grundfläche jeweils aus einer (zweidimensionalen) Kreisscheibe mit einer aus Quadraten oder Dreiecken gebildeten Tesselation (Parkettierung) besteht. Bei den beiden Kreisscheiben handelt es sich um Darstellungen des „Kreislimit III-Holzschnitts“ des niederländischen Künstlers Mauritius Cornelius Escher (1898 – 1972).6 Die Parkettierung füllt das Inneren der Kreisscheiben aus und soll eine hyberbolische Ebene darstellen. „Jeder 2-dimensionale Abschnitt ist ein hyperbolischer Raum, dessen gerade Linien durch gekrümmte Linien dargestellt sind. … Die Punkte des Randes [i.e. Grenzkreis] … haben in dieser Geometrie unendlichen hyperbolischen Abstand von den inneren Punkten der hyperbolischen Ebene. Infolgedessen scheinen die Quadrate und Dreiecke des Parketts zum Kreisrand hin unaufhaltsam zu schrumpfen, obwohl sie in der hyperbolischen Geometrie kongruent sind, d.h. die gleiche Fläche aufweisen sollen.7 Man kann sich den Zylinder als zusammengesetzt aus einem Stapel der hyperbolischen Kreisscheiben vorstellen. Das Ergebnis ist ein dreidimensionaler Anti-De-Sitter Raum“ (AdS3) [Übers. d. Verf.]. Der Mantel des Zylinders (Grenzfläche, konforme Grenze) ist eine d-1 (=2 dimensionale) konforme Symmetrie, die bei einer ‚konformen Transformation‚ auf der Grenzfläche (Mantel des Zylinders) die Metrik des Anti-De Sitter Raums erhält.
Abb. 4 Mark van Raamsdonk ist seit 2002 Professor im Fachbereich Physik und Astronomie der Universität von British Columbia.
Der amerikanisch-niederländische Physiker Mark van Raamsdonk kommentiert die von Rye und Takayanagi vorgeschlagene holografische Verschränkungsentropie mit der Feststellung: „Die von Rye und Takayanagi vorgeschlagene Formel … legt eine Interpretation der Entropie eines räumlichen Subsystems einer jeden CFT nahe, und zwar für jeden (Quanten-)Zustand der CFT, die mit einer klassischen Raumzeit verbunden ist (vgl. Abb. 5).“8
Abb. 5. Die Ryu – Takayanagi Hypothese setzt die Verschränkungsentropie einer CFT Region A auf einer konstanten Zeitscheibe [einer Hyperfläche des AdS-Raums auf der Gleichzeitigkeit herrscht] in Relation zu einer Fläche γA in AdS, homolog (zuzurechnen) zu A. In der Geometrie der Abb. liegt γA in derselben konstanten Zeitscheibe wie A. Es wird angenommen, dass das Volumen der Region BA – umschlossen von γA (grün) – ein Maß für die Komplexität (vgl. unten „Holografische Komplexität„) des reduzierten CFT Zustandes auf A ist. [vgl. Flächengesetz: SA = Fläche γa/4G 9
Nach van Ramsdonk lässt sich die Ryu – Takayanagi Hypothese generalisieren, wobei bei der von ihm erwähnten QFT (CFT) die Verschränkungsentropie in einer Raumregion A an der Grenzoberfläche einer QFT (CFT) im Mittelpunkt des theoretische Interesses steht. (vgl. Abb. 5). Diese Raumregion hat die Grenze ∂A (vgl. Abb. 6).
Die (von Neumannsche) Verschränkungsentropie ist gegeben durch die Fläche (in Planck Einheiten) einer Kodimension-2 Minimalfläche γa im Bulk (vgl. Abb. 3 bzw. Abb. 2), dessen Grenze auf ∂A endet.10 Anders ausgedrückt, für eine Quantenfeldtheorie, die … auf dem asymptotischen Rand B (vgl. unten, Abb. 8) einer .. Anti-de-Sitter Raumzeit [lebt] … erweist es sich, dass die Verschränkungsentropie eines gegebenen begrenzten Bereichs. A ⊃ B proportional ist zu dem Minimalflächen – Bereich γa innerhalb der Bulk Raumzeit (z. B. bei RT AdS3), die die gleiche Grenzfläche γa besitzt. (vgl. Abb. 6 und 5).11
Die Takayanagi Fläche γa muss dabei folgende Eigenschaften erfüllen:
1. γa weist die gleiche Grenzfläche wie A auf, d.h. γa ist auf A „verankert“.
2. γa ist homolog (zuzurechnen) zu A.
3. γa extremisiert (verkleinert) auf eine minimale Fläche. Wenn es verschieden extremale Flächen gibt, dann ist γa die mit der kleinsten Fläche.12
Der RT Vorschlag liefert eine explizite geometrische Interpretation der Verschränkungsentropie auf der Grenzfläche (boundary), i.e. der Oberfläche (CFT) γa des Bulk (des von der Grenzfläche umschlossenen AdS-Volumens).13
In ihrer ersten Arbeit vom März 2006 (vgl. oben) behandeln Rye – Takayanagi die oben beschriebene RT Flächenformel am Beispiel einer AdS3/CFT2.

Abb. 6 zeigt eine Rye-Takayanagi (RT) Fläche im Bulk. Für eine gegebene Region A der CFT, definiert auf der konformen Grenzfläche (boundary), bestimmt die RT Flächenformel, dass die Verschränkungsentropie SA durch die Fläche der d-1 dimensionalen Minimalfläche (Bulk Fläche) γA gegeben ist, die an die Grenzfläche angefügt und homolog zu A ist. Diese Fläche (Volumen) heißt RT Fläche [Volumen]. Auf Grund der hyperbolischen Struktur der [AdS] Bulk Geometrie erstreckt sich γA in den Bulk. 14
„Eine weitere Erörterung der Implikationen der Ryu-Takayanagi Formel durch van Ramsdonk legt nahe, dass man die Logik auch umdrehen kann: Anstatt die Verschränkungstheorie der Grenzfläche einer gegeben Feldtheorie aus der bekannten Bulk Geometrie zu berechnen, kann die Bulk Raumzeit aus der Kenntnis der Verschränkungsentropie einer Feldtheorie auf der Grenzfläche [des Bulk] rekonstruiert werden. Wenn man die Betrachtung dieser Perspektive auf die Spitze treibt, so deutet sie auf eine vollständige Beschreibung der Bulk Raumzeit im Sinne der Informationstheorie/Verschränkungsrelationen einer Grenzflächen QFT hin …“ (Übersetz. d. Verf.) 15
„Holografische CFTs sind stark gekoppelte [wechselwirkende] Theorien mit einer großen Zahl von Freiheitsgraden. Daher ist es schwierig ihre Quantenzustände direkt zu verstehen… Das meiste, das wir über diese Zustände verstehen basiert auf Berechnungen in der dualen Gravitationstheorie [des Bulks]. Es ist interessant zu fragen, ob wir Beispiele für Zustände in einfacheren Quantensystemen finden können, die qualitative Merkmale mit den holografischen CFT Zuständen gemeinsam haben. … Jüngst hat man verstanden, dass bestimmte Zustände, verbunden mit Tensornetzwerken viele Merkmale mit Zuständen holografischer CFTs gemeinsam haben. Somit kann die Untersuchung der Physik in Tensornetzwerken zu neuen Einsichten in die Holografie führen.“16
- S. Ryu and T. Takayanagi, „Holographic derivation of entanglement entropy from AdS/CFT“, in: Phys. Rev. Lett.96 (2006) [Digitale Ausgabe], URL: https://www-spires.slac.stanford.edu/spires/find/hep/www?j=PRLTA%2C96%2C181602 ↩︎
- Johanna Jacobi, Minimalflächen, Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen, Köln, 31.8. 2008, Mathematischen Institut der Universität zu Köln, S. 3, 6, [Digitale Ausgabe], URL: chrome-extension://efaidnbmnnnibpcajpcglclefindmkaj/https://www.igt.uni-stuttgart.de/dokumente/semmelmann/abschlussarbeiten/jacobi.pdf ↩︎
- S. Ryu and T. Takayanagi, „Holographic derivation of entanglement entropy from AdS/CFT“, in: Phys. Rev. Lett.96 (2006), pp. 2 seqq, [Digitale Ausgabe], URL: https://www-spires.slac.stanford.edu/spires/find/hep/www?j=PRLTA%2C96%2C181602. ↩︎
- Artikel, „Ryu-Takayanagi , Wikipedia, The free encyclopedia, [Digitale Ausgabe], URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Ryu%E2%80%93Takayanagi_conjecture ↩︎
- Peter Herbert, „Die Geometrie von M.C. Eschers Kreislimit-Holzschnitten, in: Zentralblatt für Didaktik der Mathematik, 1999, 31, pages 144-148, [Digitale Ausgabe], URL: https://link.springer.com/article/10.1007/BF02659805 ↩︎
- Ib. ↩︎
- Mark Van Raamsdonk, Lectures on Gravity and Entanglement, University of British Columbia, 2016, p. 12 seq. [Digitale Ausgabe], URL: https://arxiv.org/pdf/1609.00026.pdf ↩︎
- Aitor Lewkowycz and Juan Maldacena, Generalized gravitational entropy, p. 19, [Digitale Ausgabe], URL: https://arxiv.org/pdf/1304.4926.pdf; vgl.auch Artikel, „Holographic entanglement entropy“, in: The nnLab, [Digitale Ausgabe], URL: https://ncatlab.org/nlab/show/AdS-CFT ↩︎
- Raimund Abt,Implementing Aspects of Quantum Information into the AdS/CFT Correspondence, Dissertation, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Würzburg, 2019, pp. 7, 14, 62-63, [Digitale Ausgabe], URL: https://inspirehep.net/files/9a55098614effb243b28f0c417e275a2 ↩︎
- Aitor Lewkowycz and Juan Maldacena, Generalized gravitational entropy, p. 19, [Digitale Ausgabe], URL: https://arxiv.org/pdf/1304.4926.pdf; vgl.auch Artikel, „Holographic entanglement entropy“, in: The nnLab, [Digitale Ausgabe], URL: https://ncatlab.org/nlab/show/AdS-CFT ↩︎
- Ib. ↩︎
- Mark Van Raamsdonk, Lectures on Gravity and Entanglement, University of British Columbia, 2016, pp. 12 et seq., [Digitale Ausgabe], URL: https://arxiv.org/pdf/1609.00026.pdf ↩︎
- S. Ryu and T. Takayanagi, „Holographic derivation of entanglement entropy from AdS/CFT“, in: Phys. Rev. Lett.96 (2006) [Digitale Ausgabe], URL: https://www-spires.slac.stanford.edu/spires/find/hep/www?j=PRLTA%2C96%2C181602 ↩︎
- Aitor Lewkowycz and Juan Maldacena, Generalized gravitational entropy, pp. 19 seqq., [Digitale Ausgabe], URL: https://arxiv.org/pdf/1304.4926.pdf; vgl.auch Artikel, „Holographic entanglement entropy“, in: The nnLab, [Digitale Ausgabe], URL: https://ncatlab.org/nlab/show/AdS-CFT; Artikel „Ryu�Takayanagi conjecture“ [Digitale Ausgabe],URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Ryu%E2%80%93Takayanagi_conjecture ↩︎
- Holographic entanglement entropy, in: The nnLab, [Digitale Ausgabe], URL: https://ncatlab.org/nlab/show/holographic+entanglement+entropy#emergence_of_bulk_spacetime_from_boundary_information_theory; vgl. Mark Van Raamsdonk, Lectures on Gravity and Entanglement, University of British Columbia, 2016, p. 59, [Digitale Ausgabe], URL: https://arxiv.org/pdf/1609.00026.pdf ↩︎
- Holographic entanglement entropy, in: The nnLab, [Digitale Ausgabe], URL: https://ncatlab.org/nlab/show/holographic+entanglement+entropy#emergence_of_bulk_spacetime_from_boundary_information_theory; vgl. Mark Van Raamsdonk, Building up spacetime with quantum entanglement Department of Physics and Astronomy, University of British Columbia, Vancouver, pp.1 seqq. [Digitale Ausgabe], URL: https://arxiv.org/pdf/1005.3035.pdf ↩︎



