7.3.2.4 Hans Primas: Realität und
Quantenmechanik
- Die holistisches Natur der Quantenwelt
Der Schweizer Chemiker und Philosoph Hans Primas (1928-2014) forderte die Physik in seinem Aufsatz „Realism and Quantum Mechanics„ (1994) auf, sich “ um eine realistische Interpretation der Quantenmechanik zu bemühen. Primas schärfte den Blick für die Erkenntnis, dass die Quantenwelt „eine Ganzheit ist [Holismus], die nicht aus Teilen besteht. “ Die holistische Natur der Realität verbietet die Aufrechterhaltung des cartesischen Leib-Seele/Materie-Bewusstsein Dualismus und verlangt laut Primas nach einem „kontextuellen“ Verhältniss von „Beobachter“ (Bewusstsein) und „Objekt“ (Quantensystem). Es lässt die Kopenhagensche Spaltung der Wirklickeit in ein quantenmechanisches Objekt und ein klassisches Messgerät (Beobachter) obsolet erscheinen, denn die Quantennatur der Realität gilt nach dem Erkenntnisstand der modernen Physik qua Verschränkungsprinzip auch für den mesoskopischen und makroskopischen Bereich.
„Da die Existenz einer äußeren Realität mit den Mitteln .. der Physik nicht beweisbar ist, muss Realität als ein rein metaphysisches regulatives Prinzip betrachtet werden“, so Primas, „das keine Kompartmentalisierung der materiellen Wirklichkeit voraussetzt“. Die Physik hat zu zeigen, dass „ein geeignetes regulatives Prinzip bezüglich einer Wirklichkeit unabhängig von der menschlichen Erfahrung nützlich“ und mit dem Formalismus der .. Quantenphsik“ und ihren „experimentellen Ergebnissen“ kompatibel ist.“1
2. Die inkompatiblen Bereiche der „Endophysik“ und
„Exophysik“
Der kanadische Philosoph William Seager weist in seinem Aufsatz über Hans Primas auf das [bereits in der Antike aufgetretene] Problem der Emergenz hin: i. e. die Frage, wie „man die Welt, wie wir sie erleben aus der seltsamen Welt, die die Quantenmechanik uns präsentiert, errichten bzw. zurückgewinnen kann.“2 Diese Frage hat Primas mit seiner Unterscheidung zwischen Endosphysik und Exophysik sowie seiner Definition des Begriffs Kontextualität zu beantworten versucht.
Primas unterscheidet in seiner Definition der physikalischen Realität zwei inkompatible Bereiche: den Bereich der „Endophysik“ („endophysics“), i.e. ein „vollständig geschlossene[s] System ohne das Konzept eines Beobachters„, das sich auf alle fundamental universell gültigen ersten Prinzipien [„first principles“, wie z.B. Symmetrien]..“ bezieht, und sich grundlegend vom „Exosystem“ („Exophysik“) unterscheidet, i.e. „der Welt der Beobachter mit ihren Kommunikationsmitteln.“3
3. Kontextualität
Von der fundamentalen Struktur der holistischen Wirklichkeit, dem endophysikalische Wirkungsbereich der Quantenwelt, der alles andere bestimmt, leitet sich die exophysikalische, „manifeste Realität der Erfahrung“ des Beobachters ab, die dem allgemeinen Prinzip der „Kontextualität“ unterliegt: unter diesem Begriff versteht Primas eine Vielzahl von „Faktoren wie komplexe und kreative Abstraktionen, mathematische Verfahren, Approximationstechniken, experimentelle Selektion und andere kognitive Verfahren„.
Sie machen den Begriff der „Kontextualität“ aus und bestimmen den Wirkungsbereich der „Exophysik“, während der ultimativ reale und fundamentale Bereich der Endophysik nicht kontextabhängig ist. Die Exophysik selbst ist ableitbar aus der Endophysik sobald der Kontext festliegt.4 Die exophysikalische Welt besteht allerdings nach Primas nicht aus festen Bausteinen der Wirklichkeit (Elektronen, Atomen, Molekülen, etc.), sondern aus einer „Menge von Mustern [„patterns“]. .. Muster sind erkennbare Regelmäßigkeiten, die in Experimental- (oder Beobachtungskontexten) entstehen. Während die Kontexte selbst klassische Wirkungsbereiche [domains] bilden, führt kein Weg zu einer Beschreibung des totalen Systems [Exowelt + Endowelt], indem man die Menge der Kontexte ‚zusammenzählt oder kombiniert‘, sie sind unvereinbar. .. Die zentrale Vision der Welt überhaupt ist die einer zugrundeliegenden monistischen und holistischen Realität, die vielleicht daran erinnert, was [Baruch, d. V.] Spinoza Gott nannte. ..
4. Endophysikalische Realität
Die endophysikalische fundamentale Realität wird in der Erfahrung5 nicht manifestiert. Sie ist vollständig unabhängig von [menschlichem] Geist und ist vollständig objektiv. Die Entitäten der endophysikalischen Realität sind vor uns verborgen und .. nicht direkt beobachtbar… Die Welt der manifesten Realität [die exophysikalische Welt] ist, in einer ersten Annäherung atomistisch und mechanistisch und kann im Gegensatz zu endophysikalischen Welt durch die Boolsche Logik beschrieben werden.“6
5. Exophysikalische Realität
Objekte der Exowelt (Elektronen, Protonen, Quarks, etc.) erscheinen nur unter bestimmten Bedingungen, sie sind „kontextuelle Systeme“ („Objekte“) [Prozesse), z. B. abhängig von der Umgebung (Environment), bzw. Abstraktionen oder „Strukturen der Realität“ [„patterns“] in einer klassischen Umgebung (Environment), keine eigenständigen „Bausteine der Wirklichkeit“ [„building blocks of reality“].
„Kontextuelle Objekte sind abhängig von der jeweils kontextuell selektierten Topologie [raumzeitlichen Struktur], aber unabhängig von menschlichem Bewusstsein, sie sind realistisch bezüglich des gewählten Kontextes. Eine exophysikalische Beschreibung ist weder absolut wahr noch absolut falsch, aber wir können vielleicht sagen, sie ist korrekt bezüglich der gewählten Art der Realitätsbeschreibung.“ 7 Es lässt sich feststellen, das die Philosophie Hans Primas‘ eine starke Affinität zur Viele-Welten Theorie Hugh Everetts aufweist, scheinbar verbunden mit einer Betonung des Geistigen gegenüber dem materiellen Aspekt und einer Betonung des Zeitflusses im Bereich der Exophysik.8
6. „Tempushafte“ und „tempuslose Zeit“
Im Jahr 2003 schlug Primas einen „Zwei Aspekte Ansatz“ für die Erklärung des Körper-Geist Problems vor. Der Unterschied zwischen dem mentalen und materiellen Wirkungsbereichs [domain] soll seinen Ursprung in zwei unterschiedlichen Zeitformen haben: ‚tensed‚ (‚tempushafte‘, mentale) Zeit [zeitlich verlaufend], die auch Jetztheit
[nowness] umfasst und ‚tenseless‚ (‚tempuslose‘, physikalische) Zeit, als externer Parameter betrachtet. Diese beiden Zeitkonzepte emergieren als Folge eines Symmetriebruchs einer zeitlosen Ebene der Realität. … Jetztheit und Gerichtetheit [der Zeit] wurzeln in dem mentalen Wirkungsbereich, der ‚tensed time‘ [Zeitfluss], mit dem der Parameter der physikalischen Zeit durch Verschränkung quantenkorreliert ist.“9
- Everettian Interpretations of Quantum Mechanics, in: Internet Encyclopedia of Philosophy, A Peer-Reviewed Academic Resource, [Digitale Ausgabe], URL: https://iep.utm.edu/everett/ ↩︎
- William Seager, „Primas, Emergence and Worlds, 2016, p. 6 secqq., [Digitale Ausgabe], URL: https://ui.adsabs.harvard.edu/abs/2016fcc..book…71S/abstract ↩︎
- Hans Primas,“Realism and Quantum Mechanics“, in: Logic, Methodology and Philosophy of Science IX, herausgegeben von D. Prawitz, B. Skyrms und D. Westerstähl, Elsivier Science B.V., 1994 pp. 609 seqq., [Digitale Ausgabe], URL: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0049237X06800662?via%3Dihub ↩︎
- William Seager, „Primas, Emergence and Worlds, 2016, p. 9 secqq., [Digitale Ausgabe], URL: https://ui.adsabs.harvard.edu/abs/2016fcc..book…71S/abstract ↩︎
- ↩︎
- Ib. p. 17 ↩︎
- Ib., p. 9 ↩︎
- Hans Primas,“Realism and Quantum Mechanics“, in: Logic, Methodology and Philosophy of Science IX, herausgegeben von D. Prawitz, B. Skyrms und D. Westerstähl, Elsivier Science B.V., 1994 pp. 628 seqq., [Digitale Ausgabe], URL: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0049237X06800662?via%3Dihub ↩︎
- Ib. pp. 628 seqq., ↩︎
