7.3.2.5 Harald Atmanspachers und Hans Primas‘
Begriff der „Relative[n] Ontizität.“
Offenkundig wirft die Quantentheorie ja auf dem Hintergrund ihrer kontraintuitiven Eigenschaften wie „Nicht-Kommutativität, Nicht-Lokalität, Nicht-Separabilität.. Verschränkung“ und Superposition die metaphysische und psychologische Frage nach der Natur der „Realität“ grundlegend neu auf (vgl. 7.3.2.4), wenn auch bei vielen Physikern noch die pragmatische Haltung der Nutzbarkeit der Theorie (Instrumentalismus) dominiert: „Halt den Mund und rechne“ (David Mermin, 2004).
Obwohl Physiker auch im Bereich der Quantenphysik davon ausgehen, dass eine vom Beobachter der Wirklichkeit unabhängig Realität „dort draußen“ existiert, lässt sich in der physikalischen und philosophischen Interpretation der Realität zunehmend eine Akzeptanz der Existenz einer „beobachter-abhängigen Wirklichkeit“ in der Domäne der Quanten Welt feststellen.1
Atmanspacher und Primas haben versucht der quantenmechanischen Dichotomie mit der Unterscheidung einer „epistemischen und ontischen Realität“ und dem Begriff der „relaiven Ontizität“ („relative onticity„) gerechtzuwerden.
„Während die Ontologie ein Zweig der Metaphysik ist, umfasst Epistemologie alle Probleme, die sich auf Systeme der Beschaffung und Nutzung von Informationen (bzw. des Fehlen von Informationen) beziehen… Ontologie bezieht sich [hingegen] auf das Wesen und das Verhalten von Systemen, so wie sie sind, unabhängig von jedem beliebigen empirischen Zugang. … 2
Der zentrale Punkt des Konzeptes der „relativen Ontizität“ liegt darin, dass Zustände und Eigenschaften eines Systems, die zu einer epistemischen Beschreibung in einem bestimmten Wirkungsbereich [„domain“] gehören, aus der Perspektive eines anderen Wirkungsbereichs als ontisch betrachtet werden können. …3
Ontische Zustände und intrinsische Observablen beziehen sich auf ein holistisches Konzept der Realität und sind auf der operationalen Ebene nicht zugänglich, wohingegen epistemische Zustände und kontextuelle Observablen [vgl. 7.3.2.4] sich auf ein lokales Konzept der Realität beziehen und operational zugänglich sind“ – z.B. durch eine Messung.“ 4
Die Begrifflichkeit Atmanspachers und Primas'(2003) bezieht sich auf „die Unterscheidung zwischen epistemischen und ontischen Wirkungsbereichen (‚domains‘) der materiellen Realität in Parallelität zu der Unterscheidung zwischem epistemischer und ontischer Realität im mentalen Wirkungsbereichen (‚domains‘). ..
Auf der physikalischen Seite bezieht sich die epistemisch/ontische Unterscheidung auf den Unterschied zwischen ‚lokaler Realität‚(epistemisch) empirischer Fakten, gewonnen durch klassische Meßinstrumente und auf der anderen Seite auf eine ‚holistische Realität‚ verschränkter Systeme (Atmanspacher and Primas 2003).
Im Wesentlichen sind diese Domänen durch den Prozess der Messung verbunden, somit als vom bewussten Beobachter unabhängig begriffen. Das entsprechende Bild auf der mentalen Seite bezieht sich auf den Unterschied zwischen bewusstem und nicht-bewussten Wirkungsbereich.“5
„Epistemische Beschreibungen“ addressieren [also] einen (epistemischen) Zustand, der Wissen beinhaltet, abhängig von „Beobachtung und Messung„.
„Ontische Beschreibungen“ hingegen referenzieren Systemzustände („ontische Zustände)“ und definieren „das System ausführlich ‚genau in der Weise wie es ist‘, ohne Bezugnahme auf epistemisches Wissen oder Nichtwissen.
In diesem Sinne sind ontische Zustände „empirisch unzugänglich„. .. Die Eigenschaften des Systems werden als „intrinsische Eigenschaften“ verstanden. ..“ Eine wesentliche Differenz zwischen ontischen und epistemischen Zuständen betrifft den „Unterschied zwischen holistischen und lokalem Realismus“.
Während ontische Zustände nicht empirisch verifiziert werden können, sich aber auf „die Existenz erster Prinzipien und universeller Gesetze beziehen, sind epistemische Zustände empirisch untersuchbar.“6
- Hans Primas,“Realism and Quantum Mechanics“, in: Logic, Methodology and Philosophy of Science IX, herausgegeben von D. Prawitz, B. Skyrms und D. Westerstähl, Elsivier Science B.V., 1994 pp. 628 seqq., [Digitale Ausgabe], URL: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0049237X06800662?via%3Dihub ↩︎
- Harald Atmanspacher und Hans Primas, Epistemic and Ontic Quantum Realities, Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Freiburg und Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching; ETH-Zentrum, Zürich, 2003, p. 2, [Digitale Ausgabe], URL: https://www.semanticscholar.org/paper/Epistemic-and-Ontic-Quantum-Realities-Atmanspacher-Primas/adf9a5fedc3fc430342a02695499101dcc29f13c ↩︎
- Harald Atmanspacher und Hans Primas, Epistemic and Ontic Quantum Realities, Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Freiburg und Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching; ETH-Zentrum, Zürich, 2003, p. 2, [Digitale Ausgabe], URL: https://www.semanticscholar.org/paper/Epistemic-and-Ontic-Quantum-Realities-Atmanspacher-Primas/adf9a5fedc3fc430342a02695499101dcc29f13c ↩︎
- Ib., p. 19 ↩︎
- Ib. p. 279 ↩︎
- Ib. pp. 1 secqq. ↩︎
