6.1 Ontologie der Quantenfeldtheorie
Die materialistische Ontologie der klassischen Physik interpretiert die physikalische Realität in der Weise, dass sie von der Existenz materieller Teilchen als fundamentalen Objekten, mit verschwindend kleinen Ausdehnungen, ausgeht. Sie sollen sich unter dem Einfluss von Kraftfeldern auf festen Bahnen (Trajektorien) bewegen können.1
- Teilchenontologie
Die moderne Quantenfeldtheorie (QFT, vgl. 5.5.3) unterscheidet hingegen nicht grundlegend zwischen Teilchen und (Kraft) Feldern.
Der Quantenphysiker Meinard Kuhlmann beschreibt die Quantenfeldtheorie z. B. als Theorie „von Systemen mit unendlich vielen Freiheitsgraden. Unter Freiheitsgraden versteht man allgemein voneinander unabhängige Bewegungsmöglichkeiten.“2
Ein Punktteilchen der klassischen Mechanik lässt sich in einem dreidimensionalen Koordinatensystem – x, y, z – durch 3 Größen seines Ortes und 3 Angaben zu seinem Impuls (i.e seiner Bewegungsenergie) beschreiben. Das heißt, dass sechs Freiheitsgrade das System eines Punktteilchens in einem insgesamt sechsdimensionalen Koordinatenraum (Phasenraum) definieren und seinen Zustand damit festlegen.
Zur Beschreibung des Zustandes eines Feldes ist die Angabe der Feldamplitude (Feldstärke) für jeden Ort sowie des entsprechenden Feldimpulses erforderlich.
Mathematisch kann man ein Feld somit als ein System betrachten, das aus unendlich vielen Teilchen besteht.
Diese Ähnlichkeit in der Beschreibung von materiellen Teilchen (z. B. Elektronen) und Strahlung (Licht) in der QFT macht deutlich, dass das traditionelle Verständnis der Materie „…. [als] räumlich lokalisierte Teilchen und Strahlung … [als] räumlich kontinuierlich verteilte Felder … aufgegeben werden muss.“3
Auch eine Teilchenontologie wird also im Rahmen der QFT fragwürdig, weil die klassischen Eigenschaften von Teilchen (Diskretheit, Lokalisierbarkeit, synchrone Identität, diachrone Identität) in der QFT „je nach Kontext verloren“ gehen (zur näheren Begriffsklärung vgl. auch Fußnote 3) 4
2. Der elimiminative ontische Strukturrealismus
An die Stelle der unbefriedigenden Teilchen- und Feldontologie trat schließlich als Alternative zuächst der sogenannte (nicht) – elimiminative ontische Strukturrealismus.
Er betrachtet nicht Dinge wie Teilchen, sondern Strukturen bzw. Relationen entweder als alleinige oder zumindest auf der gleichen Stufe wie Dinge stehende ontologische Grundbausteine. Relationen und Strukturen können also auch ohne eine Präexistenz von Objekten konstitutiv für die Existenz materielle Dinge sein.5
Die Teilchenontologie wirft daher wegen der defizitären Natur des Teilchenbegriffs im Sinne der klassischen Teilcheneigenschaften (vgl. [Fussnote 6]6 die Frage auf, welchen ontologischen Status Teilchen überhaupt haben, z. B. angesichts der möglichen Verschränkungsstruktur von mehrteiligen Systemen (vgl. 3.3).
Der Ansatz des ontischen Strukturrealismus liegt im Gegensatz zur Teilchenontologie darin, „Dinge“ (Substanzen) nicht im Sinne einer Substanzontologie als fundamentale Grundbausteine der Wirklichkeit zu betrachten, sonder Relationen und Strukturen, welche im Bereich der Physik im wesentlichen Symmetriestrukturen sind, die bei mathematischen Koordinatentransformationen invariant bleiben (vgl. „Lorentz Metrik in 5.5.2.2).
Die von einem ontischen Strukturrealismus zu beantwortende grundlegende Frage ist jedoch , ob Relationen ohne Relata (Dinge, auf die sie sich beziehen) überhaupt möglich sind.7
3. Die Tropenontologie
Eine alternative Antwort auf die Frage des ontologischen Status der von der QFT beschrieben physikalische Wirklichkeit versucht auch die Tropenontologie (TPO). Wie der Strukturrealismus vertritt die TPO keine substanzontologische Metaphysik der materiellen Dinge als Grundlage des Seins, sondern behauptet das „Tropen„ die Grundbausteine alles Seienden sind. Unter Trope wird in der „Philosophie eine partikularisierte Eigenschaft (abstract particular) betrachtet. …Haben etwa zwei Gegenstände die gleiche Farbe, so enthalten sie nach der Tropentheorie numerisch distinkte, aber exakt gleiche Farbtropen.8 Konkrete Einzeldinge werden häufig als Bündel von Tropen aufgefasst.“9
Die tropenontologische Interpretation wird z.B. auf das quantenfeldtheoretische Standardmodell der Elementarteilchen und ihrer Klassifizierung nach verschiedenen Eigenschaften bezogen. Teilchen haben nach der Tropentheorie keinen festen ontologischen Status sonder eine permanent entstehende oder vergehende Bündelung von Eigenschaften.10
Meinard Kuhlmann stellt dazu fest: „Die tropenontologische Interpretation der QFT weist die substanzontologische Sichtweise der Teilchen– als auch der Feldinterpretationen zurück und liegt insofern jenseits dieser beiden Ansätze. Insgesamt scheinen mir alle ontologisch relevanten Ergebnisse bezüglich der Quantenphysik darauf hinzudeuten, die klassische Ding- (oder „Substanz“) Ontologie nicht nur zu modifizieren, sondern mit ihr zu brechen und auf fundamentale Ebene Entitäten ganz anderer Natur anzusiedeln (Kuhlmann in E-PdP 226).“11
- Meinard Kuhlmann und Manfred Stöckler, „Quantenfeldtheorie“, in: Cord Friebe, Meinard Kuhlmann, Holger Lyre, Paul Näger, Oliver Passon, Manfred Stöckler, Philosophie der Quantenphysik: Einführung und Diskussion der zentralen Begriffe und Problemstellungen der Quantentheorie für Physiker und Philosophen“, Springer, Spektrum, Springer Verlag: Berlin, Heidelberg, 2015, S. 225-273, hier: S. 227 ↩︎
- S. 226 ↩︎
- Ib. S, 256
„Diskretheit“ von Teilchen bedeutet die Möglichkeit, eine Anzahl von Teilchen angeben zu können, was bei Feldern nicht möglich ist.
„Lokalisiertheit“ unterscheidet Teilchen von Feldern, die sich im ganzen Raum ausbreiten. „Synchrone Identität“ bedeutet, dass Teilchen zu jedem Zeitpunkt eine individuelle Entität darstellt, Diskrete, synchron identische Entitäten sind sowohl kardinal als auch ordinal abzählbar (z.B. das erste, zweite, dritte Teilchen etc.) „Diachrone Identität“ meint, das die chronologische Entwicklung individuelle Teilchen möglich ist. Ib. ↩︎ - Ib. ↩︎
- Ib. S. 257ff. ↩︎
- Meinard Kuhlmann und Manfred Stöckler, „Quantenfeldtheorie“, in: Cord Friebe, Meinard Kuhlmann, Holger Lyre, Paul Näger, Oliver Passon, Manfred Stöckler, Philosophie der Quantenphysik: Einführung und Diskussion der zentralen Begriffe und Problemstellungen der Quantentheorie für Physiker und Philosophen“, Springer, Spektrum, Springer Verlag: Berlin, Heidelberg, 2015, S. 225-273, hier: S. 264f. ↩︎
- Ib. S. 267 ↩︎
- Ib. S. 267; vgl. auch Daniel von Wachter, A World of Fields, [Oriel College , Oxford: 2002, [Digitale Ausgabe], URL: https://epub.ub.uni-muenchen.de/1967/1/wachter_2000-fields.pdf ↩︎
- Artikel „Trope (Philosophie)“, in: Wikipedia, [Digitale Ausgabe]. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Trope_(Philosophie) ↩︎
- Ib. ↩︎
- Meinard Kuhlmann, Tropenontologische Interpretation der Quantenfeldtheorie,in: E-PdP, S, 226 [Digitale Ausgabe], URL: Tropenontologische Interpretation der, Quantenfeldtheoriehttp://www.topowiki.de/wiki/Tropenontologie ↩︎
